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Gastbeitrag von Udo Di Fabio : Ist das Grundrecht ein Ladenhüter?

  • -Aktualisiert am

„Was war da noch mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung [...] ?“, fragt der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio Bild: Jens Gyarmaty

Wirtschaftliche Interessen haben sich mit solcher Macht ins Netz verlagert, dass Privatheit nicht mehr zu garantieren ist. Man kann nur auf die Klugheit der Nutzer setzen.

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          Der Deutsche Bundestag untersuchte vor kurzem mit einer Enquete das Internet und die digitale Gesellschaft. Im Einsetzungsbeschluss von 2010 war zu lesen gewesen, das Internet sei „das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“ und trage „maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei“. Das Internet entwickele sich „zu einem integralen Bestandteil des Lebens vieler Menschen“, gesellschaftliche Veränderungen fänden „maßgeblich im und mit dem Internet statt“.

          In der Tat kann von einer digitalen Gesellschaft gesprochen werden, wenn für immer mehr Menschen die digitalisierte und vernetzte Kommunikation sich als eine maßgebliche oder sogar primäre Erlebniswelt entwickelt. Die im Wettbewerb stehenden, durch Verhaltenstrends sich verändernden Netzwerke wie Facebook oder das des Whatsapp-Messengers erzeugen digitale Dauerpräsenz. Die Teilnehmer offenbaren und koordinieren Alltagshandeln, kommunizieren Örtlichkeit, Bewegungsprofile, persönliche Vorlieben und Konsumgewohnheiten, Ansichten und private Schrullen. Die spontan entstehenden Gemeinden, jene Netze im Netz, sind sowohl privat, weil personell begrenzt, aber auch öffentlich.

          Die Grenzen zwischen Privatheit und öffentlichem Raum verwischen, wenn ein halböffentlicher Raum mit Laufkundschaft so betrachtet wird, als säße man mit engen Freunden zusammen. Jedenfalls wird traditionelles Sozialverhalten, wie die Weitergabe von Informationen, Meinungskundgaben, Weltdeutungen, Normierungen des Alltagshandeln, Moden und Moral, stark ins Netz verlagert: Das, was einstmals schon wegen der Bedingungen einer Face-to-Face-Interaktion als privat galt, wird enträumlicht, simultan zugänglich, speicherbar und verwertbar gemacht. Es findet eine Vergemeinschaftung mit viel Unverbindlichkeit, mit belanglos scheinender Intimität statt, es wächst eine ebenso kommunikative wie konsumtive Grundstruktur, die eigentlich auf naivem Technikglauben basiert, aber deren Nutzer auch sehr empfindlich auf Enttäuschungen des Vertrauens reagieren können.

          Die Lage spitzt sich zu

          Wo so viel soziale Interaktion ins Netz wandert, verlagert sich auch die Welt der Wirtschaft. Die Betreiber der Netzwerke werden milliardenschwer an der Börse gehandelt. Die alten Printmedien müssen im Netz mitspielen oder sich auf eine schrumpfende Nische einrichten. Mit Formaten wie „Facebook Deals“ können auch kommerzielle Freunde am Tisch oder hinter der Kulisse Platz nehmen, Freunde, die großzügig Sonderangebote und Gutscheine offerieren, dabei die Umsonst-Mentalität des Netzes noch mit Geschenken über sich hinaustreiben.

          Was war da noch mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also dem Recht des Einzelnen, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen? War das nicht die grundrechtliche Fortentwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus der arg verblassten Zeit der Volkszählung? Was waren das noch für geradezu idyllische Gefahrenlagen! Damals wurde das Bundesverfassungsgericht für seine Innovation und Weitsicht gelobt. Aber ist nicht auch diese Neuheit im Grundrechtekatalog inzwischen ein Ladenhüter der achtziger Jahre, aus der Zeit des Commodore C 64 stammend, von der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung geradezu überrollt?

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