Gastbeitrag: Ingrid Matthäus-Maier : Mein Ende gehört mir
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Ingrid Matthäus-Maier sagt, was sie denkt: Kriminalisiere man die Suizidbegleitung, lasse man die nach Hilfe Betenden bewusst allein Bild: picture alliance / Eventpress St
Es ist ein Skandal, dass Sterbehilfe kriminalisiert wird. Niemand darf zum Sterben gezwungen werden, aber auch niemand zum Leben. Was „lebenswert“ ist, kann nur der Betroffene beurteilen.
Alle verfügbaren Umfragen zeigen, dass weit mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland der Ansicht sind, es gehöre zum Selbstbestimmungsrecht und zur Würde des Menschen, im Angesicht einer tödlichen Krankheit, bei unerträglichen Schmerzen oder bei totaler Abhängigkeit von lebensverlängernden Maschinen das Lebensende selbst zu bestimmen. Sie wollen bei dem geplanten Freitod in sachkundiger und menschlicher Weise, möglichst von einem Arzt, unterstützt werden.
Ich kann diesen Wunsch verstehen. Ich selbst habe erlebt, wie mein lebenslang aktiver, sportlicher, lebensfroher Vater am Schluss seines Lebens trotz liebevoller Pflege über Jahre hinaus in einer Weise gelitten hat, dass ich schon damals für mich persönlich beschlossen habe, anders sterben zu wollen. Und ich hoffe, dass mich dann ein verständnisvoller Arzt nicht alleinlässt. Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich, dass viele Menschen eine ebensolche Hoffnung haben.
Belege in den Kerngrundrechten
Umso unverständlicher ist es, dass der neue Gesundheitsminister Herrmann Gröhe das Verbot eines solchen assistierten Suizids mit der schärfsten Waffe des Staates, dem Strafrecht, angekündigt hat. Auf die Frage „Wenn jemand aus freiem Willen sterben will, weil er seine eigene Situation nicht mehr erträgt, sollten dann Ärzte die Möglichkeit haben, Menschen den Weg in den von ihnen gewünschten Tod zu bahnen?“, antwortete er: „Eindeutig nein.“ Und weiter: „Jede Form der Selbsttötungshilfe muss verboten werden“, unter anderem durch eben eine Verschärfung des Strafgesetzbuches durch den Bundestag.
In dieser Situation haben sich Menschenrechtsorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), die Humanistische Union, der Humanistische Verband Deutschlands und die Giordano-Bruno-Stiftung dazu entschlossen, dieser geplanten Kriminalisierung der Sterbehilfe entgegenzuwirken mit dem Ziel, dass es dafür im Deutschen Bundestag keine Mehrheit gibt.
Freitod ist in Deutschland nicht strafbar. Dementsprechend ist auch Beihilfe dazu mangels einer Haupttat nicht strafbar. Diese Rechtslage hat nicht nur eine jahrzehntelange Tradition in Deutschland. Sie ergibt sich auch aus unserer Verfassung, dem Grundgesetz. Dort heißt es in Art. 1 Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Und in Art. 2 Absatz 1: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Aus diesen beiden Kerngrundrechten ergibt sich eindeutig, dass jeder die Freiheit hat, sein Lebensende selbst zu bestimmen.
Die Lebenswertbestimmung
Nun wird von den Kirchen eingewandt, Freitod widerspreche aber dem christlichen Glauben. Abgesehen davon, dass ich bei einem solchen Hinweis an den jahrhundertelangen, schrecklichen Umgang der Kirche mit „Selbstmördern“ denke, die unter unwürdigsten Bedingungen außerhalb der Friedhöfe anonym unter dem Galgen verscharrt wurden, respektiere ich selbstverständlich, dass andere aufgrund ihres Glaubens den Freitod und daher auch eine Freitodbegleitung ablehnen. Ich habe davor Respekt. Ich habe auch nicht die Absicht, irgendjemandem diese Überzeugung auszureden. Dieser Respekt muss aber auch umgekehrt gelten: In einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat darf die eigene religiöse Überzeugung nicht anderen aufgezwungen werden - vor allem nicht mit dem Strafrecht.
Dass auch prominente Mitglieder der katholischen Kirche meine Meinung teilen, zeigt Hans Küng, der bei einer Veranstaltung der DGHS ausdrücklich darauf hinweist, er werde sein Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende wahrnehmen, wenn es einen Zeitpunkt gebe sollte, an dem sein Gewissen das wünscht. „Niemand soll zum Sterben gedrängt, aber auch niemand zum Leben gezwungen werden.“ Immer wieder treffe ich auch Bürger, die mich nach einer Fernsehdiskussion ansprechen und mich mit dem Hinweis, sie seien Christen und auch Mitglied der CDU, dazu ermuntern, weiter aktiv für das Recht auf Sterbehilfe zu kämpfen.