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Gamification : Ist Spielen das neue Arbeiten?

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Eine Frage der Motivation: „Gamification“ soll monotone Tätigkeiten - hier Fließbandarbeit in einer Abfüllanlage - unterhaltsamer und vor allem effizienter machen Bild: Matthias Bein/ ZB

Die „Industrie 4.0“ verändert die Gesellschaft: Die Maschine macht alles, der Mensch muss in der Fabrik nur noch vereinzelt auf Knöpfchen drücken - und bei Laune bleiben.

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          Die „Industrie 4.0“ beziehungsweise der heute als Revolution beschriebene Weg dorthin ist eine technische Angelegenheit. Weil es aber nicht nur um Entwicklungen, sondern um Vernetzung des bereits Vorhandenen geht, steckt in ihr auch eine Aufgabe für Kreative, sie ist geradezu ein Auftrag für Designer. So sieht es zumindest der Ingenieur Jörg Niesenhaus, der diese Behauptung auf einer Kölner Konferenz zur „Gamification“ vortrug, aber auch mit seinem Werdegang untermauerte. Vor zehn Jahren entwickelte er Computerspiele, heute ist er Manager in einem Unternehmen, das sich mit der Entwicklung von Benutzeroberflächen für Industrieanlagen beschäftigt.

          Das bedeutet mehr, als die Begriffe Design und Gamification zunächst verraten. Niesenhaus nimmt Aufträge von Unternehmen entgegen, die planen, Fabriken zu bauen, und er hilft ihnen, sie so zu gestalten, dass sich auch Menschen in ihnen wohl fühlen. Dabei ist der Mensch die große Leerstelle der „Industrie 4.0“: Eigentlich stehen nur noch die Maschinen im Mittelpunkt, das, was sie heute schon können und was sie künftig schaffen, wenn sie miteinander vernetzt sind.

          Flow-Zustände am Fließband

          Der Mensch muss in dieses auf Effizienz und Qualität getrimmte Fabriksystem integriert werden. Die Rolle eines Wartungsingenieurs wird eine neue sein und in jeder Fabrik eine andere, sagte Niesenhaus. Der Mensch werde weiterhin Maschinen überwachen, aber die Maschine werde auch ihn beobachten. In „smart factories“ werden smarte Maschinen stehen. Die Herausforderung sei nun, die klaren und linearen, sich ständig wiederholenden Prozesse, die den Menschen nur selten, dann aber für hochspezielle Handgriffe benötigen, attraktiv zu machen. Menschen, die nach einer aufwendigen und teuren Ausbildung allein mit der Überwachung von Computerbildschirmen beschäftigt sind, müssen anders motiviert werden als klassische Industriearbeiter.

          Mit dem richtigen Wissen könne man Menschen in moderner Akkordarbeit in Flow-Zustände versetzen, über Wettkämpfe am modernen Fließband Ablenkung herbeiführen und Ziele formulieren oder mit einem Punktesystem Anreize für Fleiß schaffen. Am Beispiel eines Disney-Freizeitparks zeigte Niesenhaus die vermeintlichen Vorzüge: Wenn die Arbeit der Reinigungskräfte in Hotels zum Vergleich auf einer Leinwand angezeigt wird, arbeiten Menschen schneller. In einem Fall arbeitete eine Schwangere bis zur völligen Erschöpfung.

          Man muss nicht lange nachdenken, um auf die Probleme dieser schönen, neuen Arbeitswelt zu kommen. In Köln ging es jedoch um die angeblichen Vorteile der neuen Methoden, die zurzeit in den Personalabteilungen deutscher Unternehmen Einzug halten. Zum Auftakt der Konferenz listete der Psychologe Ibrahim Mazari die Prinzipien auf: „Gamifizierte“ Aufgaben und Arbeiten ermöglichten es Menschen, im Verlauf ihrer Tätigkeit Reputation zu erringen, Gemeinschaften zu finden, Spannungsbögen zu erleben, erreichte Ziele als Eigenleistung zu deuten und Geschichten zu erleben. Nimmt man all das ernst, ginge es nur noch darum, Menschen in „Achiever, Killer, Socializer und Explorer“ aufzuteilen. Der Weg, ein unternehmerisches Ziel in ein persönliches umzumünzen, führte dann ausschließlich über Anreize. Es geht um älteste Tugenden in digitalen Gewändern: Jagen und Sammeln, heute vor Publikum.

          Burgerbasteln als Anwendungsfall

          Deswegen, sagte der Geschäftsführer einer „Gamification-Full-Service-Agentur“, Roman Rackwitz, eigne sich Gamifizierung bestens fürs Marketing. Rackwitz fragte das Publikum: „Wenn Sie Fernsehen schauen und dort Werbung beginnt, was machen Sie dann?“ Die Frage war sogleich nicht mehr, ob denn jemand zu einem weiteren Bildschirm greife, sondern, „wie viele man, in Armlänge entfernt“, um sich habe. In Deutschland seien es zwei, in Amerika schon drei. Der „Push-Ansatz“ der Werbung, Aufmerksamkeit zu erregen, indem Werbeflächen gefüllt würden, funktioniere kaum noch, behauptete Rackwitz. Digitale Werbung sei bislang Flächenwerbung, früher auf Papier, heute auf Displays. Nun aber stehe ein Paradigmenwechsel an. Für Inhalte und Produkte sei dann zu werben, wenn nach ihnen verlangt werde und auch der Rahmen der Werbemaßnahme der richtige sei. Diesen Rahmen müsse man im Zweifel selbst schaffen.

          Der beste Anwendungsfall bisher sei McDonald’s mit einer Kampagne gewesen, in der Kunden aufgefordert wurden, einen eigenen Burger zu kreieren, den McDonald’s dann ins Programm nahm. Die Idee dahinter: die von außen angeregte Motivation, „etwas zu bekommen“, umzuformen in innere Motivation, „etwas zu erreichen“. Noch nicht hinterfragt wurde, wie motivierend es für Zehntausende von Kunden ist, einen Hamburger zu bauen und dann zuzusehen, wie es einem der Konkurrenten gelingt, ihn für vier Wochen ins Angebot der Filialen zu bringen. Nachhaltigkeit sei bei der Gamifizierung durchaus noch ein offenes Problem, über das man sprechen könne, wenn das Phänomen älter werde, sagte Rackwitz.

          Personaler in einer Zwangslage

          Wichtig sei, das wurde auch in den Diskussionen am Rande deutlich, ein ständiges Feedback, das auch schon vor der Erfindung der Computer bei vielen Spielen von Bedeutung war. Fehler zu provozieren, aus denen man lernen könne, anstatt sie zu vermeiden oder zu bedauern, sei für die Bildung nicht nur in der Schule ein wichtiger Aspekt der Gamifizierung, sagte Rackwitz. Joachim Diercks, der über den spielerischen Ansatz des „Recrutainments“ sprach, stellte heraus, dass Unternehmen den Wissenstransfer durch spielerisches Lernen auch bei der Nachwuchssuche einsetzen könnten.

          Die demographische Entwicklung zwinge Unternehmen dazu, auf Bewerber zuzugehen und niedrigschwellige Zugänge ins Unternehmen anzubieten. Formale Eignungstests akzeptierten viele Jugendliche heute kaum noch. Den Personalsuchern spielt dabei allerdings ihr eigener Trend in die Hände: Die jungen Menschen, die sich den Leistungstests verweigern, haben sich und ihr Leben längst selbst vermessen. Es ist tatsächlich Zeit, über Vor- und Nachteile der Gamifizierung zu diskutieren.

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