Fußball im Problembezirk : Im freien Raum
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Bevor sie abziehen kann, muss sie viele Widerstände überwinden: Sarah Atoui Bild: Andreas Pein
Ihre Mutter kommt aus Polen, ihr Vater aus dem Libanon, ihre Freunde sprechen Türkisch. Sie wohnt im Wedding, sie will Polizistin werden und Tore schießen für die deutsche Nationalmannschaft. Aber ihr Leben ist kein Spiel. Sie muss sich jeden Stammplatz hart erkämpfen. Sarah, ein Mädchen aus Berlin.
Sarah ist fünfzehn, sie ist nicht berühmt, singt nicht schön und will auch nicht schön singen. Erstaunlich viele Mädchen um sie herum heißen wie sie, deshalb sind Spitznamen so wichtig. Diese Sarah nennt sich Issi, ausgesprochen wird das wie easy. Nur easy ist da wenig, von den sogenannten Eckdaten her, die Sarah mit in die Wiege gelegt wurden. Ein Mädchen wie sie löst sich in den gängigen soziologischen Betrachtungen zu Problemstadtteilen, Problemschulen und Migrationsproblemen wie ein Stück Zucker in heißem Tee auf. Was wirklich schade wäre.
Sarah Atoui ist eine wilde Mischung. Ihre Mutter ist Polin, der Vater Libanese. Die Eltern haben vier Mädchen bekommen, die in Berlin zur Welt kamen. Sarah ist die Erstgeborene. Sie trägt sportliche Kleidung, ist schlank, sie nascht nicht und ihr immer ernstes Gesicht sagt: Nicht mal heimlich. Nur bei Brathähnchen wird sie schwach. Wenn sie könnte, sagt ihre Mutter, würde sie auch die Knochen essen. Sarah teilt das Zimmer mit einer Schwester, die ihre Wand mit Postern von Musical Highschool gepflastert hat. Sarahs Wand ist leer, nur in der Vitrine stecken zwei Votive: Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski. Sarah will Fußballerin in der deutschen Nationalmannschaft werden und bei der Weltmeisterschaft 2011, die in Deutschland ausgetragen wird, dabei sein. Als Spielerin natürlich.
Eine Art Hölle
Wie sind die Chancen, dass es klappt? „Fifty-fifty“, sagt sie, „könnte klappen.“ Dazu wird ihr Trainer von SC Union 06 später noch etwas sagen. Er heißt typischerweise Helmut und betreibt in der Perleberger Straße in Berlin-Moabit einen Fußballshop. Die Perleberger ist eine herausragend hässliche Hauptverkehrsstraße und kommt im Berlin-Comic „Didi und Stulle“ einmal vor. Stulle landet in der Hölle und wundert sich, dass die Hölle aussieht wie die Perleberger, da erfährt er vom Teufel, dass die Hölle eine naturgetreue Abbildung der Perleberger ist. Aber Sarah wohnt entscheidende zehn Minuten von der Perle entfernt, im Wedding.
Sarahs jüngere Schwestern heißen Sandra, Vanessa und Nadine und sind anders als die Große, die haben was Schwirrendes, Honigsüßes an sich, tragen oft Rosa und kichern, erröten und flüstern, und es ist schon merkwürdig, dass sie nicht wie glitzernde Schmetterlinge in der Luft schweben. In der sechsköpfigen Familie wird miteinander Deutsch gesprochen, ein Deutsch, das Einwanderer sprechen, die sich redlich bemühen, darauf ein funktionierendes Familienleben aufzubauen.
Sie will es beweisen
Sarah versteht die Sprachen, die ihre Eltern sprechen, aber sie liebt sie nicht, und sie bemerkt jetzt, dass sie gar nicht weiß, wie ihre Eltern sich kennengelernt haben. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass eine Katholikin aus Polen und ein Muslim aus dem Libanon sich in Deutschland verlieben und eine Fußballerin und drei Glitzergirls in Berlin aufziehen. Sarah verspricht, herauszufinden, wie das damals kam.