Frühlingsgefühle : Der Mensch steckt nicht im Korsett der Jahreszeiten
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Uns bewegt der Neubeginn: Kirschblüten in der niedersächsischen Abendsonne Bild: dpa
Tritt man im Frühling in die Paarungssaison ein? Früher glaubte man fest daran, inzwischen ist diese Vorstellung Schnee von gestern. Dafür gibt es jetzt andere Erkenntnisse.
Im Jahr 1836 war es noch offizielles Prüfungswissen für angehende Mediziner: Die Jahreszeiten hätten „auf den Menschen einen nicht geringen Einfluss“, schrieb damals Friedrich Arnold, Professor für Anatomie und Physiologie in Zürich, in seinem „Lehrbuch der Physiologie des Menschen“. Im Frühling erwache die gesamte Natur, und „auch im Menschen entwickelt sich das Geschlechtsleben stärker, die Zeugungskraft des Körpers wie des Geistes wird größer, Hautdrüsen und Lymphsystem zeigen zugleich eine regere Tätigkeit“.
180 Jahre später könnte man den Eindruck gewinnen, dass Arnold tatsächlich richtiglag: Nach dem langen, kalten Winter 2013 geht es nun allerorten um die Partnersuche. Große mediale Aufmerksamkeit bekam beispielsweise die erste Pheromon-Party Deutschlands in Berlin, auf der Singles an durchgeschwitzten T-Shirts riechen und bei Gefallen den Träger kennenlernen durften. Stadtmagazine wie „Zitty“ drucken Titelgeschichten, die „Frühlingsgefühle“ heißen und über die Orte der Stadt informieren, an denen sich Flirts ergeben könnten.
Schnee von gestern
Beginnt also auch für den Menschen nun die Paarungszeit, ähnlich wie bei Singvögeln und Feldmäusen? Friedrich Arnold schrieb noch selbstbewusst, statistische Erhebungen belegten solche Zusammenhänge zweifelsfrei. Tatsächlich kursierte in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts eine niederländische Studie, die belegte, dass im Februar die meisten Kinder geboren wurden - was darauf hindeutete, dass Zeugungen vor allem im Mai stattfinden.
Aus wissenschaftlicher Sicht allerdings sind diese Publikationen Schnee von gestern. „Man findet auch heute noch Studien, die beispielsweise ergeben haben, dass Menschen im Frühjahr an Gewicht zulegen, wieder andere aber zeigen, dass es keine Unterschiede zwischen den Jahreszeiten gibt“, sagt Horst-Werner Korf, Direktor des Senckenbergischen Chronomedizinischen Instituts in Frankfurt. „Auch ein Zusammenhang zwischen dem Frühjahr und dem Zeitpunkt von Geburten ist nicht belegt.“
Ein winzig kleines Areal der Hirnanhangsdrüse
Beim Menschen zumindest. „Dabei besitzt er alle anatomischen Strukturen, die bei anderen Säugetieren für eine saisonal bedingte Physiologie sorgen“, sagt Korf. „Und trotzdem ist er nicht saisonal gesteuert.“ Es möge individuelle Unterschiede geben, räumt Korf ein. Doch keinesfalls sei das körperliche Geschehen bei den Menschen derart ausgeprägt von den Jahreszeiten abhängig wie etwa bei Hamstern und Schafen. Diese beiden Arten sind die wichtigsten Tiermodelle, mit denen man in den vergangenen vierzig Jahren den Einfluss der Jahreszeiten auf körperliche Vorgänge erforscht hat.
Der Hamster ist demnach ein „Langtagbrüter“: Er kommt in Brunst, wenn die Tage länger werden, gleichzeitig wird sein Metabolismus aktiviert. „Zu den Langtagbrütern gehören auch Feldnager, etwa Mäuse, und Singvögel“, sagt Korf. Die „Kurztagbrüter“ hingegen werden brünstig, wenn die Tage kürzer werden - Hirsche oder Schafe gehören dazu. Ausschlaggebend dafür, ob eine Art sich zum Langtag- oder Kurztagbrüter entwickelt hat, ist die Tragezeit, also die Länge der Schwangerschaft. Hamster tragen etwa zwanzig Tage, Schafe 150 Tage. Bei beiden führt die saisonale Fortpflanzungsaktivität dazu, dass die Jungen schließlich in einer Zeit zur Welt kommen, in der die Umgebungsbedingungen angenehm und Futterquellen reichlich vorhanden sind. Um den Körper von Lang- und Kurztagbrütern mit den Jahreszeiten zu synchronisieren, wird im Gehirn die Länge von Tag und Nacht gemessen. Das Licht fällt über die Augen ein, das Signal wird von den Zellen in der Netzhaut an die sogenannte „Masteruhr“ im Gehirn gemeldet, den Nucleus suprachiasmaticus. Über Nervenzellen wird der Reiz an die Zirbeldrüse weitergeleitet, die den Botenstoff Melatonin produziert. „Er ist ein Dunkelsignal, tagsüber wird er praktisch nicht gebildet“, sagt Korf. Die Dauer des Melatoninsignals ist somit abhängig von der Länge der Nacht. „Melatonin hat viele Ziele im Körper, aber für die Saisonalität der Physiologie ist ein winzig kleines Areal der Hirnanhangsdrüse entscheidend, die Pars tuberalis“, sagt Korf.