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Freihandelsabkommen : Lasst die Kultur leben

Bombeneinschlag in der europäischen Kulturlandschaft? Das Filmstudio in Babelsberg, eine auch von Amerikanern gern genutzte Kulisse Bild: Studio Babelsberg

Vordergründig geht es um freien Handel, dahinter geht es um kulturellen Imperialismus und die Angleichung von Lebensstilen: Warum das Freihandelsabkommen Ausnahmen braucht.

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          Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union haben schon in ihrem ersten Stadium die Züge eines Glaubenskampfes angenommen. Wenn man bedenkt, worum es geht, ist das kein Wunder. Denn mit dem Freihandelsabkommen verhält es sich wie mit all den Verfahren, mit welchen die EU-Kommission die Menschen in den Mitgliedsländern quält: Vordergründig geht es um freien Handel und Wachstum, im Kern aber geht es um etwas anderes - Totalökonomisierung, Monopolkapitalismus, Angleichung gesellschaftlicher Grundverabredungen und Lebensweisen.

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

          Da kommt gleich als störendes Element die Kultur ins Spiel, die „kulturelle Ausnahme“, auf die Frankreich pocht und die auch unter fast allen politischen Parteien in der Bundesrepublik unumstritten ist. Unter fast allen: Die FDP und damit das Wirtschaftsministerium und schließlich die Bundeskanzlerin wollen auch über die Kulturwirtschaft verhandeln lassen. Zu viel an vermeintlichen wirtschaftlichen Vorteilen steht auf dem Spiel, als dass man der Kultur von vornherein eine Sonderrolle zubilligen wollte.

          Sonderrechte der Kultur

          Wie winzig nimmt sich deren Bedeutung aus im Vergleich zu den Zahlen, mit denen jongliert wird: zwei Millionen neue Jobs in den OECD-Staaten, davon 1,1 Millionen in den Vereinigten Staaten, immerhin 181.000 neue Stellen in Deutschland. Das Handelsvolumen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik könnte sich verdoppeln, dafür aber das mit den südlichen Euro-Ländern um dreißig Prozent schrumpfen, behauptet eine Studie des Ifo-Instituts und der Bertelsmann-Stiftung. Der audiovisuelle Sektor hingegen, sagte der EU-Handelskommissar Karel de Gucht, mache nur zwei Prozent des Handelsvolumens zwischen der EU und Amerika aus. Und doch wurde dieser Sektor - und mit ihm die gesamte Kultur - auf Betreiben der Franzosen vorläufig aus den Verhandlungen herausgenommen.

          Dass Frankreich auf seiner „kulturellen Ausnahme“ besteht, kann nicht überraschen. Die französische Kultur ist ein einziges Subventionskarussell, es gibt sogar Quoten, die den Anteil französischsprachiger Musik im Radio vorschreiben. Doch auch in Deutschland hat die Kultur ihre Sonderrechte - die Buchpreisbindung, die Filmförderung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. All dies sei durch das Freihandelsabkommen bedroht, sagen Kritiker.

          Ausnahmen von der reinen Lehre

          Aber warum? Ganz konkret könnte ein Freihandelsabkommen Amazon die Möglichkeit geben, die Buchpreisbindung endgültig zu unterlaufen. Diese würde von vornherein als Bestimmung gekennzeichnet, die den freien Markt behindert, oder die Multis könnten dagegen klagen. Sie hätten dann eine gestärkte Rechtsposition. Ähnlich wäre es beim Film: Kaum ein europäischer Film wird ohne staatliche Unterstützung produziert, Produzenten und Fernsehsender sammeln da und dort Landesförderung ein und gehen zur Filmförderungsbundesanstalt. Die vergibt ihr Geld nach Referenzpunkten. Referenzen, für die es Punkte und Geld gibt, sind Festivals, aber auch Zuschauerzahlen. Die Länderförderungen werden vergeben, wenn man vor Ort produziert. Die Horrorvorstellung der hiesigen Filmwirtschaft wäre, dass auch amerikanische Filme derartige Förderung kassierten. Da käme dann James Cameron vorbei, legte die Zuschauerzahlen seines Blockbusters „Avatar“ vor, und der Fördergeldsack wäre danach leer. Oder aber amerikanische Produzenten könnten gegen das gesamte System klagen.

          Wahrscheinlicher wäre die erste Variante - die Europäer und damit die Steuerzahler würden bluten. Denn auch das amerikanische Filmgeschäft lebt von Subventionen, die als Lohnsteuerrückzahlungen oder direkt für Produktionsstandorte vergeben werden, etwa in Kanada. Auf die Förder-Methode sind die Amerikaner längst gekommen, nur deshalb werden große Filme auch in Babelsberg, im Harz oder auf Malta produziert. Der reinen Lehre der Marktwirtschaft folgt die Filmindustrie weder in Europa noch in den Vereinigten Staaten, der Status quo ist für alle Beteiligten bequem.

          Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich Sorgen um seine Existenz machen müsste, ist nicht zu erwarten. Die hiesigen Privatsender haben jahrelang versucht, die Rundfunkgebühr als unerlaubte, den Markt verzerrende „Beihilfe“ ausweisen zu lassen, und sind gescheitert. Über die Staatsverträge der Bundesländer sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten ebenso abgesichert wie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der seit Januar geltende Rundfunkbeitrag ist rechtlich fragwürdig. Ihn zu kippen, dafür braucht es kein Freihandelsabkommen. Ansonsten können mit der „kulturellen Ausnahme“ alle leben, außer Google und Amazon. Sie bewahrt die Kultur in Europa und - das ist der Witz - auch in Amerika vor dem Ausverkauf. Dabei sollte es bleiben.

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