Fotograf René Burri gestorben : Den Moment zur Dauer verführen
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Der Magnum-Fotograf René Burri Schweizer bereiste alle Kontinente und hielt fest, was den Augen der Welt sonst entgangen wäre. Jetzt ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.
Im Angesicht seines Todes wirkt es wie ein Symbol, dass sich René Burri erst im Frühjahr von seiner Leica M2, Baujahr 1962, trennte. Viele Jahrzehnte hatte der Schweizer Magnum-Fotograf mit ihr Länder, Kriege und mit Vorliebe bekannte Künstler fotografiert. „Die Kamera ist meine Mätresse und mein drittes Auge“, hat René Burri gesagt. Er hat mit ihr viel gesehen und festgehalten, was wir heute als ikonisch in der Reportagefotografie ansehen: Che Guevara mit einer Havanna kennt wirklich jeder. Der von Burri bewunderte Pablo Picasso genießt den Stierkampf mit Hut oder schaut auch mal nachdenklich, den Kopf auf die Hand gestützt. Doch es ging auch auf entlegene Pfade zu Mönchen in Tibet, zu Bergleuten in einer Goldmine in Johannesburg, in zerstörte Wohnhäuser in Beirut.
Berühmt ist das Gesamtbild, das er uns 1962 von unserem geteilten Land zeigte und selbstbewusst mit „Die Deutschen“ betitelte – in Anlehnung an Robert Franks „Die Amerikaner“ ein Jahr vorher. Die Deutschen damals: Da galten für ihn Ost und West gleichberechtigt. Das gefiel nicht allen, doch es steht für seine Arbeitsweise: Er hat die Apparatur immer auch benutzt, um Distanz zu politischen Verwicklungen zu halten – er behandelt einen Guerrillakämpfer, der es zum Industrieminister gebracht hat, eben gleich wie einen französischen Dandy-Künstler. Gegen die Versuchung zur Bildmanipulation, die uns heute die Rechner nahelegen, kämpfte er mit allen Mitteln: Bildbeschnitt war ihm ein Tabu.
Ewigkeit des Augenblicks
Seinen Beruf hat René Burri an der Kunstgewerbeschule in Zürich gelernt, bei Hans Finsler, einem Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Der Produktfotograf Finsler konnte Lampen, Schuhe, Stoffe oder Schrauben so klar und rein zeigen, dass einem schwindelig wird. In den Erzählungen von René Burri wirken jene Lehrjahre aber wie die Übungen eines Malereistudenten, der stundenlang Äpfel und Birnen abmalen muss, bevor er frei arbeiten darf. Diese Disziplin hält Burris Fotografien fest und sicher: Seine Motive werden gehalten durch den präzisen, ordentlichen Ausschnitt und einfache Kompositionen. Kalt, wie viele behaupteten, sind seine Bilder deswegen aber nicht. Burris akademische Ausbildung war vielmehr ein Schutz dagegen, sich hinreißen zu lassen, in Sensationsmacherei abzugleiten im Chaos von Krieg und Zerstörung. Das Objektiv auf Tote zu richten lag ihm nicht.
Als er mit zweiundzwanzig Jahren als Anhalter nach Paris aufbrach, um Picasso zu treffen, und schließlich bei Magnum und Robert Capa, Henri Cartier-Bresson und David Seymour landete, überraschte ihn das Tempo der Großstadt, das sich gegen das Festhalten sträubt. Man konnte die Menschen ja nicht einfach bitten, kurz stehenzubleiben, sagte er. Sein Foto „Rio de Janeiro“ von 1960 zeigt seine Freude an lebendiger Bewegungsordnung: Der Ausschnitt, das Motiv zerbirst fast durch die Spannung von Licht- und Schattenlinien im Flur des Gesundheitsministeriums. Zwei Damen schreiten vorüber, verfolgt von den Blicken gutgekleideter Herren. Das „Du“-Magazin nahm das Foto aufs Titelblatt und nannte es „Die Ewigkeit des Augenblicks“. Das Bild entkommt dem Jetzt ins Ewige, wie der Fotograf aus der Schweiz ins Weltganze gefunden hat, weil er die räumliche und geistige Enge des Herkunftslandes nicht ertrug.
Ein Analogkünstler wie Burri, so würde man annehmen, konnte mit der digitalen Technik nichts anfangen. Um seinen Hals hing allerdings in den letzten Jahren eine digitale Leica. Vielleicht haben wir das Glück, irgendwann in seinem Notizbuch, wie er seine letzte Kamera nannte, zu lesen, auch wenn das Ende seines großen Lebens jetzt gekommen ist: Am 20. Oktober ist René Burri in seiner Heimatstadt Zürich gestorben.