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Exzellenzinitiative : Privat ein Laster, öffentlich eine Tugend

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Wie ein akademischer Leuchtturm auszusehen hätte, lässt sich nicht mit ähnlicher Klarheit sagen: Vollmond über Westerhever. Bild: dpa

Die öffentliche Kommunikation über die Exzellenzinitiative prägt ein irritierender Doppelstandard. Ein Protestschreiben von Wissenschaftlern spricht aus, was viele denken. Ein Gastbeitrag.

          5 Min.

          Man muss kein approbierter Medien- und Kommunikationswissenschaftler sein, um die alltägliche Kommunikation an den Universitäten über die alte wie die neu aufgelegte Exzellenzinitiative auffallend und analysebedürftig zu finden. Denn immer wieder macht sich ein profanes Dilemma bemerkbar. Im ältesten Medium, der face-to-face-communication, wird noch sehr viel stärker als sonst gänzlich anders über die Exzellenzinitiative gesprochen als in der publizierten Schriftform. Antragsprosa oder Verlautbarungen von offiziösen Universitätszeitschriften begrüßen die Erneuerung der Exzellenzinitiative, ansonsten aber hört man zumeist lästerliche Reden.

          Mit einem Wort: Es herrscht in der Kommunikation über die Exzellenzinitiative systematischer doublespeak. Ironische, distanzierte, mitunter gar verächtliche Reden über den Antragsprosastil / über Kollegen, die nur noch mit Antragsstellung und Mitteleinwerbung beschäftigt sind / über die, die als akademische Lehrer scheitern und deshalb Wissenschaftsmanager werden wollen / über die groteske Zeitverschwendung, die die Antragstellung erfordert / über glatte Fehlinvestitionen an Ressourcen und Zeit, wenn ein Antrag scheitert (was ja der statistische Standardfall ist) / über inkompetente und von Eigeninteressen geleitete Gutachter / über die Nötigung, schon bei frisch angelaufenen Projekten an den Verlängerungsantrag zu denken / über die ausbleibende Resonanz auf die allfälligen S(t)ammelbände / über die Reklamesprache der Projekte und die Lancierung neuer turns und keywords / über den Egoismus der jeweiligen Teilprojekte etc. pp. - lästerliche Reden sind der Normalfall. Und das gerade auch bei denen, die wissen, wovon sie sprechen, die also Erfahrung mit der Einwerbung von Drittmittelprojekten im Rahmen der Exzellenzinitiative haben. Diesen erfahrungsgesättigten Lästereien widerspricht krass die Antrags-, Vorwort-, Gutachter- und Verlautbarungsprosa über die jeweiligen Projekte. Eine schizoide Kommunikation aber kann nicht die regulative Idee akademischer Kommunikation sein.

          Ein Standardargument, so trivial wie triftig

          Irritierend ist, dass solche kritischen Reden weit verbreitet sind, aber nur im Ausnahmefall öffentlich vorgetragen werden. Allerdings sprechen starke Indizien dafür, dass diese Konstellation bald kippt - und das ist auch gut so. Auf dem 66. DHV (Deutscher Hochschulverband)-Tag, der im April 2016 in Berlin stattfand, wurden sehr kritische Töne laut (in der DHV-Zeitschrift „Forschung und Lehre“ 5/2016 sind sie dokumentiert). Und nun sorgt ein Aufruf „Für gute Forschung und Lehre - Argumente gegen die Exzellenzinitiative“ für Aufsehen, zu dessen Erstunterzeichnern der Autor dieses Beitrages zählt.

          Die Gründe für die dennoch vorherrschende schizoide Kommunikation über die Exzellenzinitiative sind offensichtlich: Man kann sich den Imperativen der Exzellenzinitiative kaum entziehen. Mir sind mehrere Kollegen bekannt, die dem genannten Aufruf zustimmen, aber ihn nicht unterzeichnen, weil sie gerade einen Antrag gestellt oder bewilligt bekommen haben und plausiblerweise Sanktionen fürchten. Das Standardargument für ein solches Verhalten ist so trivial wie triftig: Man müsse das Spiel halt mitspielen, wenn man das Wohlwollen der Universitätsleitung, ein höheres Einkommen und Stellen für den Nachwuchs haben wolle.

          Eine verbindliche Forschungskultur für alle Disziplinen

          Um nur ein - freilich häufig anzutreffendes - Szenario zu benennen: Eine frisch berufene Juniorprofessorin, deren Vertrag laut Berufungsvereinbarungen nur dann entfristet wird, wenn es ihr gelingt, erhebliche Drittmittel einzuwerben, wird, was wenig überraschend ist, zögern, einen solchen Aufruf zu unterschreiben. Ihre Lust, ein bedeutendes Buch zu schreiben, muss sie unterdrücken, denn dafür sehen die Berufungsvereinbarungen keine Entfristungsprämie oder Gehaltszulage vor. Stattdessen wird sie in zahllosen Sitzungen versuchen, ein früher inter-, dann trans- und nun metadisziplinär genanntes Projekt auf die Beine zu stellen - also „gut aufgestellt“ zu sein (merkt denn keiner, dass dieser inflationären Wendung die Assoziation ,Potemkische Dörfer‘ geradezu obligatorisch mitgegeben ist?).

          Um Missverständnisse zu vermeiden: Es gibt zweifellos Drittmittel-Projekte, die produktiv sind und Aufmerksamkeit verdienen. Und selbstverständlich gibt es Forschungsprojekte, die nur im Großverbund zu bewältigen sind. Einen Teilchenbeschleuniger kann sich nicht jede Einzeluniversität leisten, eine kritische Edition aller Werke und Schriften Richard Wagners kann nicht mit den Mitteln eines Lehrstuhls erstellt werden. Das Problem aber lässt sich prägnant benennen: Ein Forschungsdesign, wie es für einige Disziplinen und Projekte sinnvoll, ja unvermeidbar sein mag, wird zur verbindlichen Forschungskultur für alle Disziplinen erklärt. Die daraus resultierenden Verwerfungen sind kaum zu überschauen. Um einen zugegebenermaßen drastischen, aber sachlich belastbaren Vergleich zu bemühen: Der Wissenschaftsbetrieb steht vor einer tiefenstrukturellen Umstellung von gewaltigem Ausmaß - so als ob das Wirtschaftssystem von freier Marktwirtschaft plötzlich auf staatlich geleitete Kommandowirtschaft mit Vorgabe von Fünfjahresplänen verpflichtet würde.

          Als wäre es eine Frage der Zahlen

          Elementare Umstellungen in der Wirtschaft sind meist an neue Währungen und ein neues Bankensystem gekoppelt. Ähnliches gilt für das Wissenschaftssystem. Die Ein- und Weiterführung der Exzellenzinitiative bringt im Verbund mit der Bologna-Reform eine neue akademische Währung mit sich: Kennziffern treten an die Stelle von Kommunikation über konkrete Forschungsergebnisse. Das Ranking ganzer Fachbereiche und Universitäten bemisst sich fast ausschließlich an Ziffern. Eine Universität, die mehr Drittmittel eingeworben hat als eine andere, gilt dann per se als die bessere, als die exzellente. Das Faktum, dass ein Forscher mehr Veröffentlichungen in einem A-Journal aufzuweisen hat als ein anderer, macht ihn zum besseren Forscher. Die Bücher, die der andere in die Waagschale zu werfen hat, zählen nicht, sie sind keine gültige Währung mehr.

          Der Pressesprecher oder Präsident einer Universität verkündet stolz, dass seine Universität im Ranking in den letzten Jahren von Platz 37 auf Platz 23 aufgestiegen sei, wird aber sprachlos, wenn er berichten soll, welchen großartigen Einsichten und Forschungsergebnissen dieser Aufstieg denn zu verdanken sei. Beredt wird er wieder, wenn er kundtut, man habe soundso viele Graduiertenkollegs gegründet und einen Sonderforschungsbereich eingerichtet, aus der Exzellenzinitiative größere Summen erhalten etc. pp. Im Übrigen gebe es noch viel zu tun, die Universität werde sich noch um weitere Fördergelder bewerben, man sei zuversichtlich, diese zu erhalten, denn die Universität sei gut aufgestellt.

          Ein Gang zurück zu produktiven Ursprüngen

          Bemerkenswert ist, worüber nicht gesprochen wird: über Forschungsergebnisse, neue Theorien, über Paradigmenwechsel und über Bücher, die ein weites Publikum erreichen, kurzum - über Inhalte. Diskussionen von sachlicher Relevanz, gehen gerade nicht auf Projekte zurück, die im Rahmen der Exzellenzinitiative gefördert wurden, sondern auf Publikationen, die sich der traditionellen Sturheit einzelner Forscher verdanken. Mit einem Wort: Wer heute überhaupt noch über die Verlautbarungsprosa und Rankinglisten hinaus etwas liest, liest nicht Sammelbände, sondern Monographien.

          Die heute fast alleingültige Währung im Sektor wissenschaftlicher Veröffentlichungen aber ist der von peer reviews auf Stromlinie getrimmte Artikel in einem A-Journal. Die A-Journal-Artikel aber werden ihrerseits mehr zur Kenntnis genommen und statistisch ausgewertet (etwa um den Hirsch-Index zu errechnen) als wirklich gelesen. Bibliometrie tritt an die Stelle von Bibliophilie; dass ein Artikel soundso viel Mal zitiert wird, ist wichtiger als die Frage, was denn da zitiert wird und ob etwas dran ist an dem, was da behauptet wird. Das hat fatale Auswirkungen. Die peer review-Schwelle geschafft haben etwa Theorien über die besondere Effizienz und Transparenz der Finanzmärkte - eine vom Volkswirtschafts-Nobelpreis gekrönte Theorie wurde nach dem Lehman-Brothers-Crash von 2008 zur Lachnummer.

          Man muss nicht sonderlich phantasiebegabt sein, um Alternativen zur neu aufgelegten Exzellenzinitiative durchzuspielen. Etwa diese: Die Hälfte der gut 500 Millionen Euro, die jährlich als Drittmittel an Universitäten fließen sollen, die gut aufgestellt sind, wird dazu verwendet, aus dem von Projekt zu Projekt hechelnden Mittelbau-Prekariat ein selbstbewusstes Nachwuchs-Potential mit langem Atem zu machen. Einen Mittelbau, der nicht auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen ist, den jeweils neusten Antragsstil einzuüben und rituell Innovation und Kreativität zu beschwören, sondern tatsächlich Eigenes voranzutreiben und vorzustellen.

          Ein solcher Mitteleinsatz wäre übrigens ein Gang zurück zu produktiven Ursprüngen. Die meisten haben schlicht vergessen, dass in den siebziger und achtziger Jahren Drittmittel dazu dienten, jungen selbständigen Köpfen Mut zu machen und Möglichkeiten zu geben, sich gegen den etablierten Universitätsbetrieb durchzusetzen. Heute ist die Exzellenzinitiative zum Durchsetzungs- und Macht-Instrument älterer oder früh in Gremien vergreister Herren und Damen geworden, die gerne mit „Exzellenz“ angeredet werden wollen.

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