Luciano Floridi im Porträt : Vom Dasein zum Im-Netz-Sein
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Leben heißt Online-Sein: Luciano Floridi vor seinem Oxforder College Bild: Friedemann Bieber
Luciano Floridi ist der Digital-Philosoph der Stunde. Seine Theorie des vernetzten Lebens hüllt uns in eine wimmelnde Sphäre autonomer Objekte. Da drückt auch Google den Gefällt-mir-Knopf.
Aber bitte schreiben Sie jetzt nicht: der Google-Philosoph“, sagt Luciano Floridi, bleibt einen Moment stehen und blinzelt durch seine dicken Brillengläser auf die mittagssonnenhelle Broad Street. Mit seinem dunkelgrauen Anzug und dem sorgsam gebundenen Krawattenknoten, die Arme wie am Rednerpult verschränkt, sieht er nicht gerade aus wie der Hausphilosoph des Silicon Valley. Der Titel ist eine Vereinfachung und Vereinnahmung. In einem bestimmten Sinn weist er jedoch in die richtige Richtung. Denn für die Entwicklungen, die Floridi beschäftigen, steht kein Unternehmen so sehr wie Google.
Die Macht autonomer Algorithmen und die immer dichtere informationelle Vernetzung, glaubt Floridi, Forschungsdirektor des Oxford Internet Institute, verändert unser Verhältnis zur Welt nicht nur an der Oberfläche. Für ihn sind wir auf dem Weg in eine Infosphäre, die wir nicht nur mit Tieren und Pflanzen, sondern auch mit Maschinen teilen. In dieser Infowelt wird unser Bild von uns selbst auf den Kopf gestellt.
Das Etikett „Google-Philosoph“ haftet an Floridi, seit ihn der Konzern vor einem Jahr in eine achtköpfige Expertengruppe berief, die ihn bei der Auslegung jenes Urteils beraten sollte, das als „Recht auf Vergessen“ bekannt wurde. Der Europäische Gerichtshof hatte der Suchmaschine im Mai letzten Jahres das Recht entzogen, innerhalb Europas zu persönlichen Informationen von Privatpersonen zu verlinken, wenn diese als fehlerhaft und unangemessen eingestuft werden. Über Nacht wurde Google vom bloßen Informationsvermittler, als der es sich gern darstellt, zu einer juristischen Instanz, die zwischen Meinungsfreiheit und Privatsphäre abwägen muss.
Löschen ist ein politischer Akt
Google berief ein unabhängiges Gremium ein, dem neben Floridi auch der Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales und die ehemalige deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger angehörte. Im Februar veröffentlichte die Gruppe ihre Überlegungen in einem Abschlussbericht. Dieser legt Google zwar auch konkrete Kriterien zur Einschätzung von Löschersuchen nahe, doch Floridi sieht seinen Wert vor allem darin, Aufmerksamkeit auf die Frage zu lenken, wie Bürgerrechte im digitalen Zeitalter zu schützen sind. In einer Welt, in der die Grenzen zwischen „online“ und „offline“ verschwimmen, da wir ständig mit vernetzten Maschinen in Kontakt sein werden, sei das Löschen persönlicher Daten nicht nur ein praktisches Prozedere, sondern ein politischer Akt.
Als Floridi in den achtziger Jahren in Rom Philosophie studierte, steckten Computerchips noch nicht in unsichtbaren Sensoren, sondern in wuchtigen, grauen Klötzen. Um seinen ersten PC zu kaufen, einen Commodore C64 mit Diskettenlaufwerk und 64 Kilobyte Arbeitsspeicher, reiste Floridi von Rom nach Florenz. Der Kauf war eine Investition. Die nächste Seminararbeit reichte Floridi in gedruckter Form ein, sie erhielt die Bestnote. Warum? Die Prüfer hätten schlicht nicht glauben können, dass er den Aufsatz auf einem Computer geschrieben hatte, meint Floridi. Für das Masterstudium ging er nach England. Wenn er von dieser Zeit erzählt, geht es weniger um philosophische Vorbilder, als um den Moment, als er seine Abschlussarbeit über das Telefonmodem seiner Eltern nach Warwick verschickte. In diesem Augenblick wurde ihm klar: „Das Internet wird unser Leben verändern.“
Floridi begann, über die gesellschaftlichen Konsequenzen der neuen Technologie nachzudenken, und darüber, wie Information zu definieren sei. Am Magdalen College in Oxford bewarb er sich für ein Forschungsstipendium, er wollte sich mit der Quantifizierbarkeit von Informationen beschäftigen. Informationen könne man nicht quantifizieren, habe ihm der Professor im Bewerbungsgespräch trocken geantwortet. Es war eine von vielen Stellen, die Floridi nicht bekam. Schließlich gab er sich Zeit bis zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag, um eine feste Stelle zu finden, nicht aus Sorge, er habe auf das falsche Thema gesetzt, sondern zu früh auf das richtige.