Vegetarier : Sensibel, klug - und ausgegrenzt?
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Das perfekte vegetarische Weihnachtsdinner: Pilze und Nüsse im Blätterteigmantel (“Mushroom Wellington“) Bild: mauritius images
Die Zahl der Vegetarier nimmt zu; ihr Lebensstil ist zum Trend avanciert. Doch wie sie sich in psychologischer Hinsicht von anderen unterscheiden, ist noch wenig erforscht.
Als Matthew Ruby im Jahr 2004 als Austauschstudent aus Kanada an die Universität Tübingen kam und seinen deutschen Kommilitonen erzählte, er sei Vegetarier, hatte er noch mit Missverständnissen zu kämpfen. „Einmal trafen wir uns bei einer Kommilitonin zum Essen, und sie sagte: Schau, Matthew, extra wegen dir habe ich Nudelsalat mit Hühnchen gemacht“, erinnert sich der 29-Jährige, der inzwischen Psychologe ist und in diesem Sommer seine Promotion an der University of British Columbia in Vancouver abgeschlossen hat. Seit Oktober ist Ruby zurück in Deutschland, er ist jetzt Post-Doc in der „Group for Society and Animals Studies“ an der Universität Hamburg. In dem Land, in das er nach acht Jahren zurückgekehrt ist, wird ihm wohl niemand mehr Geflügel als vegetarische Kost anbieten.
Vegetarismus ist inzwischen Trend in Deutschland. Im internationalen Vergleich leben hier auffallend viele Vegetarier, neun Prozent der Bevölkerung sind es nach Angaben der Europäischen Vegetarier-Union; in den Vereinigten Staaten und Großbritannien sollen jeweils drei, in Kanada acht, in Irland sechs, in Israel 8,5 Prozent und in Portugal nur 0,3 der Bevölkerung Vegetarier sein. Vor einem Jahr veröffentlichte Forsa eine Umfrage, der zufolge fast zwei Drittel der Frauen und knapp vierzig Prozent der Männer in Deutschland sich schon als „Teilzeitvegetarier“ sehen.
Rar gesäte Forscher
Auch als Wissenschaftler ist Matthew Ruby deshalb richtig in Deutschland. Rubys Forschungsgebiet ist die Motivation von Menschen, auf Fleisch zu verzichten oder andere ethische Maßstäbe an ihre Mahlzeiten anzulegen. „Essen und Kultur“, fasst Ruby seine Forschungsinteressen ganz grob zusammen. Speziell interessiert er sich aber für Vegetarier, deren emotionale Besonderheiten und psychologische Charakteristika und wie Vegetarier vom Rest der Gesellschaft wahrgenommen werden.
Damit ist Ruby einer der rar gesäten Forscher weltweit, die sich mit dem Phänomen Vegetarismus auf Ebene der Psychologie und Psychiatrie auseinandersetzen. Schon während seiner Promotion über Vegetarismus in Vancouver hat er deshalb mehr mediale Aufmerksamkeit erhalten als die meisten Doktoranden: Mehrere seiner in Fachmagazinen publizierten Forschungsergebnisse schafften es in den vergangenen zwei Jahren in die internationalen Medien.
Vegetarismus als soziologisches Phänomen
In der Forschung sei sein Thema trotz des gewaltigen Interesses der Öffentlichkeit noch immer dramatisch unterrepräsentiert, sagt Ruby. „Lange Zeit hat man den Vegetarismus vor allem medizinisch hinterfragt und Studien darüber angefertigt, ob es gesundheitliche Nachteile gibt“, sagt auch Sebastian Zösch, stellvertretender Vorsitzender des Vegetarierbundes Deutschland. Die Frage ist inzwischen geklärt: Vegetarier haben seltener Übergewicht, ein geringeres Diabetes-Risiko und sterben seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen - das war etwa das Fazit eines Ärztekongresses für vegetarische Ernährung in der Gesundheitsversorgung der Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde Anfang Dezember in Berlin. „Erst seitdem man sicher ist, dass vegetarische Ernährung viele Vorteile für die Gesundheit hat, beginnt man langsam, auch die psychologisch-kulturelle Komponente zu betrachten“, sagt Zösch.
Was es bisher an Studien hierzu gibt, liest sich wie ein buntes, unvollständiges Puzzle. An vielen Stellen sind Themen angerissen, aber es ist dann nicht in dieser Richtung weitergeforscht worden. Ruby hat Anfang 2012 im Fachmagazin „Appetite“ eine Übersicht über bisher erschienene Studien zu soziologischen und psychologischen Themen rund um Vegetarier veröffentlicht. Mehrfach zeigten amerikanischen Studien beispielsweise, dass Vegetarismus offenbar mit einer linksliberalen politischen Haltung assoziiert ist. Fleischesser, die sich mit dem Fleischkonsum gern und bewusst identifizieren, bekennen sich hingegen meist zu autoritären und hierarchisch geprägten Gesellschaftsstrukturen. Im Jahr 2007 zeigte eine Studie mit 8000 Probanden im „British Medical Journal“ dass Kinder mit höheren IQ-Werten dreißig Jahre später mit größerer Wahrscheinlichkeit vegetarisch leben.