Bildung und TTIP : Das eigentlich Unverhandelbare
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Will den Ausschluss der Bildung aus den TTIP-Verhandlungen festschreiben: Das Europäische Parlament in Straßburg Bild: dpa
Die Hochschulrektorenkonferenz fordert den Ausschluss des Bildungssektors aus den TTIP-Verhandlungen. Bislang wurde über diesen Aspekt des Freihandelsabkommens kaum gesprochen.
Die Kultur gilt als Keimzelle des Widerstands gegen das Freihandelsabkommen TTIP, seine Folgen für das Bildungssystem sind dagegen bisher nur am Rande angeklungen. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich dieser Tage zu Wort gemeldet und von der Europäischen Kommission gefordert, den Bildungssektor komplett von dem Abkommen auszunehmen. Bildung sei kein Handelsgut, sondern Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Natürlich wird an deutschen Universitäten längst mit Bildung gehandelt. So gibt es das (auch von der HRK getragene) Leitbild der unternehmerischen Hochschule vor.
In Europa, so die HRK, betrachte man Bildung aber immer noch unter idealistischeren Vorzeichen und nicht, wie in den Vereinigten Staaten, als private Investition in die Arbeitskraft, was in der Tendenz sicher stimmt, wenngleich die EU die Konvergenz von Ökonomie und Bildung in den letzten Jahren selbst maßgeblich vorangetrieben hat.
Die Europäische Kommission will den Bildungssektor dem Vernehmen nach aus den Verhandlungen heraushalten, hat ihn aber nicht auf die Negativliste gesetzt. Erst das würde ihn unverhandelbar machen. Das Europäische Parlament stimmt Mitte Juni über eine Resolution ab, die den Ausschluss verbindlich machen soll. Die Kommissionäre müssen sich zwar nicht an das Votum halten. Doch weil das Parlament dem Abkommen am Ende seinen Segen geben muss, hat die Resolution durchaus Gewicht.
Auf dem Weg zum Bildungsweltmarkt
Mangels konkreter Information lässt sich bisher kaum abschätzen, ob und wie stark das Abkommen die Schwellen senken wird. Das GATS-Abkommen von 1995 hat den Bildungssektor für private Anbieter schon relativ weit geöffnet. Kontextfaktoren legen eine weitere Liberalisierung nahe. Die Zahl amerikanischer Hochschuldependancen in Europa ist zwar überschaubar, seit Jahren zeigen die Amerikaner aber das Interesse, mit privaten Bildungsangeboten, besonders im Weiterbildungsbereich, noch stärker auf europäischem Boden Fuß zu fassen, neuerdings auch mit den gut vermarktbaren Online-Seminaren.
Kritiker sehen TTIP daher als nächste Etappe bei der Transformation des Bildungswesens zum Bildungsweltmarkt, auf dem heute schon rund zwei Billionen Dollar jährlich umgesetzt würden und weitere Rendite lockten, gelänge es, die staatliche Dominanz zu brechen und internationalen Bildungsunternehmen durch gelockerte Auflagen den Boden zu bereiten. In zugespitzter Sicht würden diese Europa mit berufs- und gewinnorientierten Angeboten eindecken und nach Gutdünken akademische Grade verleihen, die mit der Idee umfassender und zweckfreier Bildung nichts mehr am Hut hätten. Die Existenz solcher Unternehmen ist unbestritten. Die Kernfrage, wie stark sie nach TTIP noch an staatliche Qualitätsstandards gebunden wären, wird jedoch äußerst kontrovers diskutiert.
In England wurde das Bildungssystem zu Tode liberalisiert
Die staatlichen Hochschulen blieben von dem Abkommen wohl unberührt, gerieten aber unter den Konkurrenzdruck privater Anbieter. Das hält die HRK nicht prinzipiell für schlecht, sie beunruhigt aber, dass TTIP, anders als das Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta), den Dependancen ausländischer Hochschulen mit keinem Satz ausdrücklich vorschreibe, sich an die nationalen Regeln zu halten. Ungleich stärker wären private Hochschulen und der privat-öffentliche Mischbereich von TTIP betroffen, also auch private Bildungsangebote öffentlicher Hochschulen wie MBAs oder staatliche Subventionen für Privathochschulen. Seit die deutschen Hochschulen stärker durch die Wirtschaft alimentiert werden, ist die Grenze zwischen privat und öffentlich nur noch schwer zu ziehen.
Man befürchtet nun, das Abkommen könnte Klagen gegen staatliche Subventionen ermöglichen oder dazu dienen, unter dem Mantel des Investitionsschutzes gegen neue Auflagen und Standards vor private Schiedsgerichte zu ziehen. Das schürt wiederum die Sorge, der Gesetzgeber könnte sich aus Furcht vor solchen Klagen Zurückhaltung auferlegen.
Das Bundesbildungsministerium pocht auf die staatliche Hoheit in Zulassungsfragen. Ob sich Qualitätsstandards bis ins Detail regeln lassen, ist jedoch fraglich. Der Blick auf das zu Tode liberalisierte englische Bildungswesen, in dem Bildung und ökonomischer Nutzen vielfach eins geworden sind, rät jedenfalls zur Wachsamkeit.