Al Azhar-Universität : Sunnitische Weltstimme in ägyptischer Mission
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Kampf dem Extremen: Al Tayyib (Bildmitte) im Dezember auf der Kairoer Konferenz gegen Terror und Extremismus Bild: Reuters
Das Urteil der Kairoer Al-Azhar-Universität hat im sunnitischen Islam enormes Gewicht. Nun spannt sie al Sisi in seinen Antiterror-Kampf ein. Belastet der nationale Druck die Urteile zum IS?
Über Strukturen und Einflussgrad der Kairoer Al Azhar, einer der wichtigsten Autoritäten des sunnitischen Islam, die jüngst wegen ihrer markanten Stellungnahmen zum IS-Terrorismus in die Schlagzeilen geriet, herrscht im Westen häufig Unklarheit. Dies trifft auch auf die Forschung zu, die mit der rasanten politischen Entwicklung in Ägypten seit der Revolution von 2011 kaum Schritt hält.
Schon den Überblick über den Aufbau dieser weitverzweigten und stetig wachsenden islamischen Institution zu behalten, ist alles andere als leicht. Die Al Azhar ist nämlich ein riesiger Bildungsapparat und zugleich eine theologische Denkfabrik. Sie unterhält nicht nur ein eigenes landesweites Schulnetz und eine Universität, die in ganz Ägypten über zahlreiche Filialen mit theologischen wie weltlichen Fakultäten verfügt. Der Kairoer Azhar-Leitung und ihrem Kopf, dem Großscheich Ahmad al Tayyib, unterstehen auch etliche theologische Institute, Räte und Expertengremien. Es sind vor allem diese Einrichtungen, zu denen auch die angesehene „Islamische Forschungsakademie“ gehört, die durch ihre Publikationen, Rechtsgutachten (Fatwas) und die mündlichen Erklärungen ihrer führenden Mitglieder beträchtlichen Einfluss auf die sunnitische Welt ausüben.
Empirisch gemessen wurde diese Wirkung bis heute nicht. Potenziert wird sie jedenfalls nicht nur durch die ausländischen Zweigstellen der „Islamischen Forschungsakademie“, von denen die meisten in Afrika liegen. Auch prägen die vielen ausländischen Absolventen der Kairoer Al Azhar-Universität nach der Rückkehr in ihre Heimatländer die dortigen religiösen Institutionen im Sinne ihrer Lehrer entscheidend mit - ähnlich ihren ägyptischen Kollegen, die an allen wichtigen Schaltstellen des sunnitischen Establishments in Ägypten sitzen. So hat der amtierende ägyptische Großmufti Schauqi Alam wie auch seine Amtsvorgänger selbstverständlich an der Al-Azhar studiert. Übrigens bekleidete dieses Amt auch Ahmad al Tayyib (2002 bis 2003), bevor er anschließend sieben Jahre lang die Al Azhar-Universität leitete und 2010 von Mubarak zum Azhar-Großscheich ernannt wurde.
Unverhoffte Renaissance
Bei allem globalen Anspruch - beispielsweise müssen rund ein Drittel der Mitglieder der Kairoer „Islamischen Forschungsakademie“ Ausländer sein - ist die Al Azhar in erster Linie eine nationale Einrichtung. Als solche unterliegt sie den Zwängen der Politik, die in Ägypten seit Jahrzehnten von autoritären Exmilitärs bestimmt wird. So rührt ihre heutige Struktur von der letzten großen Azhar-Reform von 1961 her, mit der Präsident Gamal Abdel Nasser die Geistlichkeit an die Kandare nahm. Damals wurde auch der „Rat der Großgelehrten“ abgeschafft. Niemand rechnete damit, dass er wiederbelebt würde.
Als jedoch während der Präsidentschaft des Muslimbruders Muhammad Mursi 2012 eine neue Verfassung verabschiedet wurde, die Al Azhar eine beratende Funktion bei der Überprüfung von Gesetzesvorschlägen auf ihre Islamtauglichkeit zuwies, wurde dieser Rat wieder ins Leben gerufen. Gemeinsam mit der „Islamischen Forschungsakademie“ sollte er solche Gesetzesprüfungen vornehmen. Doch Mursis Sturz im Sommer 2013 und die Annullierung der unter seiner Ägide verabschiedeten Verfassung machten den gerade erst wieder eingesetzten Gelehrtenrat praktisch überflüssig. Gleichwohl ließ ihn Mursis Amtsnachfolger Abdel Fattah al Sisi nicht nur weiter bestehen und in der 2014 noch einmal erneuerten ägyptischen Verfassung als Instanz verankern. Die gegenwärtig etwa zwei Dutzend Mitglieder des Rats - fast alle ehemalige oder jetzige Azharis - verfügen nun sogar über das bislang dem Staatschef vorbehaltene Recht, den Azhar-Großscheich wie auch Ägyptens Großmufti zu ernennen.