Lage der Politikwissenschaft : Fach ohne Ausstrahlung
- -Aktualisiert am
Die Politikwissenschaften wagt sich nur noch selten aus den Hörsälen heraus Bild: Felix Schmitt
Die Stimme der Politikwissenschaft ist in der Öffentlichkeit kaum noch zu vernehmen. Die Debatten bestimmen Juristen oder Ökonomen. Die jüngere Generation schweigt.
Im September 2015 veranstaltete die „Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft“ (DVPW) ihren 26. Wissenschaftlichen Kongress zum Thema „Vorsicht, Sicherheit! Legitimationsprobleme der Ordnung von Freiheit“ an der Universität Duisburg-Essen. Das Motto sollte eine Reminiszenz an den legendären Kongress von 1975 sein, auf dem sich Jürgen Habermas und Wilhelm Hennis an gleicher Stätte einen denkwürdigen Schlagabtausch geliefert hatten. Tatsächlich beschlichen einen bei der zentralen Plenumsveranstaltung wehmütige Gefühle. Gerade einmal dreißig Zuhörer wollten im riesigen Duisburger Audimax wissen, was die deutsche Politikwissenschaft zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit in der heutigen Welt zu sagen hat.
Dass der Kongress in der Öffentlichkeit überhaupt eine gewisse Resonanz erfuhr, ging auf die personellen Querelen innerhalb des Verbandes zurück, der sich als unfähig erwies, einen neuen Vorsitzenden zu finden. Michael Zürn, einer der Ko-Direktoren am Berliner Wissenschaftszentrum und führender Vertreter im Bereich der Internationalen Politik, wurde zwar - hauchdünn - gewählt, erklärte aber schon kurz darauf seinen Rücktritt, weil die Mitgliederversammlung die von ihm vorgeschlagenen weiteren Vertreter des Vorstands reihum durchfallen ließ. Seither steht die DVPW „kopflos“ da.
Zwei Jahre vorher waren die deutschen Politologen aufgrund einer Personalangelegenheit schon einmal in die Schlagzeilen geraten, als sie den nach Theodor Eschenburg benannten Preis für ein wissenschaftliches Lebenswerk kurzerhand abgeschafft hatten. Der Preis könne wegen Eschenburgs Verhalten im Dritten Reich die ihm zugedachte Funktion, für das Fach identitätsstiftend zu wirken, nicht mehr erfüllen. Dem Beschluss unter dem Vorsitz der Tübinger Politikwissenschaftlerin Gabriele Abels war ein offener Brief von mehr als hundert Kolleginnen und Kollegen vorausgegangen, darunter Klaus von Beyme, Peter Graf von Kielmansegg, Dieter Nohlen und Hans-Peter Schwarz, mit Helga Haftendorn und Gerhard Lehmbruch auch die beiden früheren Preisträger. Drei ehemalige Vorsitzende der DVPW - Jürgen W. Falter, Christine Landfried und Lehmbruch - erklärten ihren Austritt aus dem Verband. Die Unterzeichner entstammten überwiegend der älteren Generation. Dies hatte nicht nur mit der „Vergangenheitspolitik“ zu tun, sondern auch mit grundsätzlichen Fragen des Fachverständnisses.
Eschenburg stand für eine die historischen Grundlagen betonende Politikwissenschaft. Zugleich spielte er die Rolle eines öffentlichen Intellektuellen, der durch seine Zeitungskolumnen in der „Zeit“ großen Einfluss auf die politischen Debatten der Bonner Republik ausübte, ohne sich dabei von einer bestimmten Schule oder Partei vereinnahmen zu lassen. Die starke Sichtbarkeit des Faches in den fünfziger und sechziger Jahren hatte gewiss mit den Zeitumständen zu tun. Zum einen gab es in der neu aufzubauenden Demokratie einen hohen Bedarf an normativer Position, zum anderen kamen die Gründerväter der deutschen Politologie allesamt aus Nachbardisziplinen - der Geschichte, Rechtswissenschaft, Philosophie oder Nationalökonomie. Das Fach verstand sich als eine Integrations- oder gar „Königswissenschaft“, die weit über die eigenen Grenzen ausstrahlte.
Zwänge der Drittmittelwissenschaft
Mit der „Versozialwissenschaftlichung“ und Professionalisierung der Politikwissenschaft in den sechziger und siebziger Jahren, die stark vom amerikanischen Vorbild bestimmt war, ging der Siegeszug der quantitativ-statistischen Methoden einher („behavioralistische Wende“). Ursache-Wirkungs-Interaktionen wurden nun nicht mehr gedanklich-argumentativ rekonstruiert, sondern „gemessen“ und damit zugleich gegen die empirische Widerlegbarkeit immunisiert. Die Folge: eine zunehmende Selbstreferentialität und Kleinteiligkeit, mit der sich das Fach gesellschaftlich und politisch marginalisiert hat. Statt die großen Fragen der Zeit sprachlich luzide und mit klarem Urteil zu sezieren, dominiert in der heutigen Zunft methodisches und theoretisches „l’art pour l’art“.
Wer die Zahl der Professuren zugrunde legt, sieht die deutsche Politikwissenschaft im internationalen Vergleich positiv. Doch reicht dieser Maßstab aus? Da die Politikwissenschaft durch ihren sozialwissenschaftlichen Fokus stärker internationalisiert (in diesem Fall: amerikanisiert) ist als zum Beispiel die Geschichts- oder Rechtswissenschaft, unterliegt sie auch stärker den Zwängen der Drittmittelanträge. Eigensinnige Ansätze bleiben oft auf der Strecke.