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Im Sog der Moocs : Hochschulen experimentieren mit freien Online-Kursen

Was kommt da auf uns zu? In einem Erklär-Clip stellt die Mooc-Plattform Iversity die Entwicklung als kunterbunten Tsunami dar Bild: Iversity

Freie Online-Kurse auf Universitätsniveau sind gut und wichtig, so weit ist man sich an deutschen Hochschulen einig. Die einen sehen Moocs als Gelegenheit zur Profilierung, andere als Erwerbsquelle. Erste Institute machen sie zum regulären Teil ihres Studienangebots.

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          Die Zahlen sind eindrucksvoll, auch wenn die Vergleiche hinken: Als vor einer Woche auf der Plattform Iversity die ersten sechs frei zugänglichen Online-Kurse ihre ersten Lehrvideos, ihre Aufgaben und Foren freischalteten, verkündete das Unternehmen aus Bernau bei Berlin stolz, mit seinen über hundertachtzehntausend Studenten schon größer zu sein als Stanford, Oxford, Cambridge und die FU Berlin zusammen, größer auch als die Fernuniversität Hagen. Es ist zwar erklärter Anspruch von Iversity, von vergleichbaren hiesigen Plattformen und den großen amerikanischen Vorbildern Coursera, Udacity oder EdX, ihre Massive Open Online Courses, für die das Akronym Moocs gebräuchlich ist, auf Hochschulniveau anzubieten. Außerdem interessieren sich Hochschullehrer zunehmend dafür, Teile der Lehre in dieser Form anzubieten – sei es als Aushängeschild, als Weiterbildungsangebot oder um den Präsenzbetrieb zu entlasten.

          Fridtjof Küchemann
          Redakteur im Feuilleton.

          Allerdings sind auf dem Weg, diese Sonderform der Studienleistung allgemein anzuerkennen, noch einige Fragen offen. Selbst der Vergleich mit einer Fernuniversität ist also fragwürdig, stellt diese doch nicht nur unverbindlich Lerninhalte für Interessierte ins Netz, sondern bietet anerkannte Abschlüsse an. Bei Iversity werden jetzt immerhin für die ersten drei Kurse ECTS-Punkte vergeben. Ein wichtiger Schritt, die Online-Lehre mit dem allgemeinen Hochschulangebot vereinbar zu machen, auch wenn es immer noch Sache der Hochschule ist, an der sich ein Student eingeschrieben hat, ob sie die so im Netz (und meist mit einer abschließenden Präsenzklausur) erworbenen Punkte als Studienleistung anerkennt.

          Mit Experimentiererlaubnis

          Für Oliver Vornberger, Direktor des Instituts für Informatik an der Universität Osnabrück, dessen Kurs „Algorithmen und Datenstrukturen“ Mitte April bei Iversity beginnt, war das eine Bedingung seines Angebots: Es gehe ja nicht darum, eine Volkshochschule zu virtualisieren, sagte er dieser Zeitung, sondern etwas anzubieten, das innerhalb des europäischen Hochschulraums verwertet werden könne. Die Studienkommission seines Fachbereichs müsse das Gewicht des Kurses mit sechs ECTS-Punkten bestätigen, der Fachbereichsrat den Kurs anschließend anerkennen, schildert er den inneruniversitären Abstimmungsweg.

          Frank Piller, der als Professor für Innovationsmanagement an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen seit Jahren die Vorlesung „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“ vor achthundert bis tausend Studenten hält, hat vom Rektorat in diesem Semester eine „Experimentiererlaubnis“ bekommen. Jetzt kann seine Vorlesung seit dem 15. Oktober auch bei Iversity belegt werden, und bei der Abschlussklausur im Februar wird nicht unterschieden, ob die Teilnehmer im Netz oder im Hörsaal studiert haben. Was die Frage der Anerkennung als Studienleistung betrifft, sieht Piller, wie er dieser Zeitung sagte, offen dokumentierte Moocs sogar im Vorteil gegenüber Vorlesungen an anderen Universitäten, deren Qualität nicht so leicht überprüft werden kann.

          Zum Sondereinsatz

          Marcus Riecke, Geschäftsführer von Iversity, hält Moocs für einen „Katalysator, der die Hochschullandschaft grundlegend verändern wird und der auch die Institutionen zwingt, ihre Rolle zu überdenken und anzupassen“. Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, sieht darin hingegen lediglich „sinnvolle Tools für spezifische Zwecke“ wie Hochschulmarketing, kleine Fächer oder Ringvorlesungen. „Wegen der Ressourcenintensität sind Moocs kein Instrument zum Sparen“, sagte er dieser Zeitung, „daher wird es auch keine flächendeckende Umwälzung der bisherigen Lehre geben.“

          Auch Bernd Huber, Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München, sieht die Bedeutung von Moocs vorrangig in der internationalen Profilierung seiner Hochschule. Die anfängliche Skepsis deutscher Universitäten sei inzwischen der Offenheit gewichen, sagte er, das Thema werde in Gremien und auf Konferenzen diskutiert, viele Rektorenkollegen fragten nach seinen Erfahrungen. Als erste deutsche Universität hatte die LMU in diesem Sommer vier Kurse beim amerikanischen Riesen Coursera an den Start gebracht, zwei sind bislang abgeschlossen. Einer davon war „Competitive Strategy“ von Tobias Kretschmer. Der BWL-Professor ist mit den achtzigtausend Teilnehmern, von denen zwölftausend eine Teilnahmebestätigung erhalten konnten, zufrieden: Durchschnittlich fünf Prozent der Teilnehmer erfüllen bei Coursera alle Aufgaben eines Kurses, bei ihm sind es fünfzehn Prozent gewesen. Dass für Moocs Punkte angeboten werden, hält Kretschmer für erstrebenswert, wichtiger allerdings sei auch ihm die Breitenwirkung, die man mit einem solchen Angebot erzielen könne und die er lakonisch so auf den Punkt bringt: „Ich bin jetzt in beinahe allen Hauptstädten dieser Welt zum Essen eingeladen.“

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