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Geschlechterdebatte : Doppelstandards der Gleichstellung

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Ein Kampf mit doppelten Standards und harten Bandagen: das Ringen um Geschlechtergleichheit

Ein Kampf mit doppelten Standards und harten Bandagen: das Ringen um Geschlechtergleichheit Bild: dpa

Wenn es um Gleichberechtigung geht, wird weiterhin oft mit zweierlei Maß gemessen. Aber wenn eine soziale Bewegung erst einmal unterwegs ist, kennt sie oft keine Logik mehr. Einige Beispiele aus der Geschlechterdebatte.

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          Rechtzeitig zum Weltfrauentag machte die soeben mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnete Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jutta Allmendinger, im Mitteilungsblatt ihres Hauses darauf aufmerksam, dass der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestags ausschließlich männliche Wissenschaftler angehören. In ihrem Geleitwort der Anfang März erschienenen WZB-Mitteilungen geißelt die Präsidentin unter dem Titel „Das Geschlecht der Expertise“ diesen Tatbestand als politische Peinlichkeit.

          Die Zusammensetzung der von einer Frau geleiteten Kommission ist in der Tat merkwürdig und lässt mancherlei Zweifel hinsichtlich der Orientierung an universalistischen Kriterien aufkommen. Noch bemerkenswerter ist in Bezug auf Geschlechterungleichheit aber ein anderer Vorfall. Am 1. März hat der Europäische Gerichtshof beschlossen, dass Frauen auf ihre Ersparnisse höhere Zinsen als Männern zu gewähren seien. Dieses denkwürdige Urteil lenkt den Blick auf die zunehmende Zahl der Ungleichheiten zuungunsten von Männern, die allmählich stärker in den Blick gerückt werden sollten, wenn es um Fairness und Gleichheit der Geschlechter geht. Einige dieser neuen Ungleichheiten seien kurz illustriert.

          Zunächst das Urteil des EuGH. Es lautet natürlich nicht, dass Frauen höhere Zinsen zu gewähren sind als Männern. Es bewirkt nur eben dies, indem es im Zeichen der Geschlechtergleichheit reguliert, dass die im Schnitt gut fünf Jahre länger lebenden Frauen die gleichen Prämien für ihre Lebensversicherungen zahlen sollen wie Männer, obwohl sie aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung eine als Monatszahlung vereinbarte Rente eben fünf Jahre länger beziehen. Mit anderen Worten: Sie bekommen ein wesentlich günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis zugesichert. Dies wird mit dem Argument gerechtfertigt, die höhere Lebenserwartung liege ja gar nicht in erster Linie am Geschlecht, sondern gehe auf andere Faktoren wie etwa verschiedene Lebensstile zurück. Das ist nun im Licht der öffentlichen Diskurse über Geschlechterungleichheit ein höchst merkwürdiges Argument.

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          Der Tatbestand geschlechtsspezifischer Differenzen der Lebenserwartung spielt auch beim Gender Equality Index des Human Development Report der Vereinten Nationen eine Rolle. Gleichheit zwischen den Geschlechtern gilt dort für die Lebenserwartung dann als gegeben, wenn die weibliche Lebenserwartung fünf Jahre höher liegt als die der Männer. Dies wird anscheinend als eine Art natürliche Konstante gesehen, die es den Konstrukteuren des Index erlaubt, Länder, in denen die Lebenserwartung der Frauen nur zum Beispiel vier Jahre höher ist als die der Männer, als diskriminierend gegen Frauen zu werten.

          Der Gedanke, dass ganz andere Faktoren wie etwa der Lebensstil die Lebenserwartung von Männern und Frauen prägen, spielt hier offenbar keine Rolle, und es wird bestimmt, die Gleichheit zwischen den Geschlechtern verlange, dass Frauen fünf Jahre länger leben. Eine empirisch kleinere Lücke führt für das betroffene Land im aus verschiedenen Dimensionen zusammengesetzten Gender Equality Index im Bereich der Lebenserwartung zu einem Malus.

          Einer ähnlichen Logik folgt auch ein Bericht der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus dem Jahr 2010 über „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2008“. Ihm ist zu entnehmen, dass Arbeitsunfälle zu rund 24 Prozent auf Frauen, zu 76 Prozent aber auf Männer entfallen und dass tödliche Arbeitsunfälle zu neun Prozent Frauen, zu 91 Prozent Männer treffen. Bei den anerkannten Berufskrankheiten liegt der Frauenanteil bei zehn Prozent. Der Bericht hält dazu fest: „Nur etwa jedes elfte Opfer eines tödlichen Arbeitsunfalls ist weiblich, bei den meldepflichtigen Arbeitsunfällen ist es etwa jedes vierte. Dennoch gab es im Jahr 2008 fast 230.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle von Frauen. Grund genug, sich näher mit diesen Unfällen zu beschäftigen.“

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