Science-Slams : Die Wanderbühne der Wissenschaft
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Wissensvermittlung mit Showfaktor: ein Slam in der Frankfurter Sternwarte Bild: Müller, Verena
Mit dem Sommersemester starten wieder Science-Slams an den Universitäten. Was als bürgernahe Wissenschaft gilt, zeugt eher von akademischer Torschlusspanik.
Die Beliebtheit des sogenannten Schreibens nach Gehör an deutschen Schulen wird begleitet von einer Verachtung der stillen Arbeit, die als ineffizient und autoritär verrufen ist. In Gegenwart anderer schweigend und konzentriert einen Text zu lesen oder zu verfassen ist aber nicht mehr die einzige Zumutung, von der Pädagogen die Schüler befreien wollen. Als ähnlich anmaßend werden Vorträge und Referate wahrgenommen, erlegen sie den Zuhörern doch ebenfalls Phasen stiller, konzentrierter Rezeption auf. Um die Schüler von solch zeitraubenden Zwängen zu entlasten, ist Anfang dieses Jahres erstmals das an den Universitäten bereits etablierte Format des Science-Slams an deutschen Oberschulen erprobt worden. Innerhalb von zehn Minuten durften Jugendliche verschiedener Bundesländer, nachdem sie ein „Coaching“ absolviert hatten, im Rahmen diverser „Tage der offenen Tür“ ihre liebsten Schulthemen als „Performances“ präsentieren.
Miriam Schmitt und Michael Metzger von „Policult“, einer Veranstaltungsagentur für Science-Slams, beschreiben das Spektakel als Gegenentwurf zum Frontalunterricht: „Irgendjemand hat irgendeinen Text gelesen und das dann mehr schlecht als recht zusammengefasst, im schlimmsten Fall noch abgelesen.“ Science-Slammer hingegen dürfen sich kreativ kostümieren und Bilder, Videos, Haustiere und andere Requisiten mitbringen, um die Hierarchie zwischen Vortragendem und Publikum zu durchbrechen. Der Ablauf der Slams an den Universitäten ist ähnlich wie an den Schulen: Akademiker, meist Nachwuchswissenschaftler, präsentieren in einer Zeitspanne von drei bis zehn Minuten in populärwissenschaftlicher Sprache einen Gegenstand ihres Fachs. Alle Slams sind als Wettbewerbe angelegt, über die gelungenste Darbietung entscheidet das Publikum. Auch das soll dazu beitragen, der Wissenschaft ihren autoritären Nimbus zu nehmen.
Verständlich um jeden Preis
Ob die Stilisierung des Slammers zum Kurzzeitstar weniger autoritär ist als das übliche Vortragsformat, kann bezweifelt werden. Neben dem angeblichen Abbau von Hierarchien wird die größere Anschaulichkeit und Verständlichkeit als Argument für die Science-Slams angeführt. Populär sind die Slams in den Naturwissenschaften, weil die erwünschte Anschaulichkeit dort mit Experimenten zwangloser als in anderen Disziplinen demonstriert werden kann. Die Sieger der deutschsprachigen Meisterschaften im Science-Slam waren bislang durchweg Naturwissenschaftler. Doch auch die Geisteswissenschaften öffnen sich dem Format. Auf dem Deutschen Historikertag im vergangenen Herbst in Göttingen fand der erste „History-Slam“ statt, die Frankfurter Goethe-Universität veranstaltete zu ihrem 100. Geburtstag einen „Goethe-Slam“. Im Evangelischen Erwachsenenbildungswerk in Dortmund haben schon Theologen über Luthers Zwei-Welten-Lehre und Historiker über den Kalten Krieg geslammt.
Es ist kein Zufall, dass der Science-Slam nicht aus den Fachdisziplinen heraus, sondern unter dem Label der Bürgerarbeit in der Verwaltungswissenschaft entstanden ist. Verbreiter des Formats in Deutschland sind der Poetry-Slammer Alex Dreppec, der 2006 in Darmstadt den ersten Science-Slam organisierte, und Markus Weißkopf, Geschäftsführer der Berliner Initiative „Wissenschaft im Dialog“. Dreppec ist Psychologe und hat über „Verstehen und Verständlichkeit wissenschaftlicher Texte“ promoviert. Weißkopf studierte Politik und Management und berät als Verwaltungswissenschaftler Universitäten bei der Verbesserung ihrer Wissenschaftskommunikation. Mit der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ setzt er sich für mehr „Interaktion mit dem Publikum“ und eine Kommunikation „auf Augenhöhe“ mit „der Bevölkerung“ ein.
Das klingt innovativ und bürgernah, ist aber viel mehr Symptom der Torschlusspanik, mit der insbesondere Nachwuchswissenschaftler auf ihre prekären Zukunftsaussichten reagieren. Akademische Disziplinen, die sich ihrer Traditionen und Möglichkeiten halbwegs gewiss sind und deren institutioneller Fortbestand gesellschaftlich nicht in Frage steht, legitimieren sich nicht vor „der Bevölkerung“, sondern vor der scientific community, die weder erlesen noch elitär sein muss, mit dem jeweiligen Fach aber durch ein gemeinsames Vorverständnis verbunden ist. Das Bedürfnis, sich direkt vom Publikum die Legitimation der eigenen Arbeit abzuholen, kommt erst auf, wenn die ökonomische Grundlage und geistige Substanz jener Arbeit in Frage gestellt sind.
Indessen ist bereits der Poetry-Slam Erbe einer viel älteren Tradition: der Stegreifbühne, auf der sich bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert fahrende Dichter, Sänger und Komiker den Lebensunterhalt zusammenspielen konnten. Der ökonomische Druck, der diese Tradition ins Leben rief, lebt in den Slams fort - mit dem Unterschied, dass deren Protagonisten sich diese Kontinuität nicht bewusst machen, sondern die Notwendigkeit, sich vor versammeltem Publikum zum Clown zu machen, als akademischen Fortschritt verkaufen. Die Geistesfeindlichkeit der Science-Slams wird so verständlich als Ausdruck der Gleichgültigkeit gegenüber einer Arbeit, die ökonomisch um jeden Preis erhaltenswert, intellektuell aber als Last erscheint.