Bologna-System : Kleine Reform eines großen Irrtums
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Mehr Freiheit, weniger Zeitdruck: Das Studium in Deutschland soll wieder weiträumiger werden Bild: ZB
Die Bologna-Reform hat Universitäten in Ausbildungsfabriken verwandelt. Die Wissenschaftsminister wollen jetzt wieder für mehr Freiräume im Studium sorgen.
Nachdem die Hochschulen das letzte Jahrzehnt hindurch bei der Gestaltung von Studiengängen durch Akkreditierungsagenturen gegängelt wurden, gilt seit der Kritik des Bundesverfassungsgerichts an der Akkreditierungspraxis unter den Wissenschaftsministern das Motto „Kommando zurück“. Die Hochschulen sollen künftig ohne die willkürlichen Eingriffe privatwirtschaftlich organisierter Genehmigungsagenturen über ihre Studiengänge entscheiden können. Die Fakultäten und Fachbereiche sollen weitgehende Autonomie bei der Gestaltung der Studiengänge bekommen.
Aber wie viel Weisheit kann man von ihnen bei der Gestaltung der Studiengänge erwarten? Muss man die Verantwortung für den Zustand vieler Bologna-Studiengänge, die teilweise alle zwei Jahre verschlimmbessert werden, nicht in erster Linie bei denjenigen suchen, die sie in den Fakultäten und Fachbereichen entwickelt haben? Und was sollten die Gründe dafür sein, dass Professoren jetzt plötzlich bessere Studiengänge machen?
Angesichts der heftigen Kritik an der Bologna-Reform haben die Wissenschaftsminister in den letzten zehn, fünfzehn Jahren immer wieder darauf verwiesen, dass die Grundidee der Bologna-Reform hervorragend gewesen sei, dass es aber an der Umsetzung in den Hochschulen gehapert habe. Die Ideen des Reformkonzepts seien in allzu rigider Weise umgesetzt worden. Auch wenn es sich die Minister damit sicherlich leichtmachten, so scheinen sie doch in einer Reihe von Punkten recht zu haben. Die Wissenschaftsminister wollen jetzt - so hört man aus der Kultusministerkonferenz - auf ihrer nächsten Sitzung gegensteuern.
Gegen die Prüfungsflut
Ein erster Punkt, an dem die Hochschulen die Bologna-Vorgaben zu rigide umgesetzt haben, ist die detailgenaue Vorgabe von Studieninhalten. Sicherlich - die Verschulung des Studiums und die Tendenz zum Bulimie-Lernen ist in der Grundstruktur von Bologna angelegt. Mit der Einführung von Zeiteinheiten als Berechnungsgrundlage für die Studiengangsgestaltung - den sogenannten ECTS-Punkten - und dem Zwang, für jedes Modul detaillierte Lernziele zu definieren, wurden die Dozenten angehalten, jede Lernstunde eines Studenten vorauszuplanen. Aber die Freiräume, die trotz dieser Vorgaben noch möglich gewesen wären, wurden an vielen Hochschulen nicht genutzt. Jetzt wollen die Länder dem entgegenwirken und die Hochschulen anhalten, die Spielräume wieder zu erweitern.
Ein zweiter Punkt, an dem die Professoren eine deutliche Tendenz zur Übererfüllung der Bologna-Vorgaben zeigen, betrifft die Anzahl der Prüfungen pro Semester. Sicherlich: Schon die Einhaltung der „ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“ führt zu einer erheblichen Zunahme von Prüfungen. Weil nach diesen Vorgaben jedes Modul mit einer Prüfung abgeschlossen werden muss, ergeben sich bei kleinen Modulgrößen automatisch fünf oder sechs Prüfungen, die Studierende pro Semester ablegen müssen. Das war für Fächer wie Betriebswirtschaftslehre oder Statistik, die vorrangig über Klausuren prüfen, nicht problematisch. Für Fächer wie Geschichtswissenschaft, Philosophie oder Soziologie war die Prüfungsflut jedoch verheerend. Weil es in solchen Fächern unmöglich ist, in einem Semester sechs gute Hausarbeiten zu schreiben, wurde vielfach auf didaktisch ungeeignete Prüfungsformen wie Multiple-Choice-Klausuren oder mündliche Referate umgestellt.
Aber auch bei der Vervielfältigung der Prüfungen gingen die Hochschulen noch einen Schritt weiter. Statt einer Prüfung pro Modul werden nicht selten mehrere Prüfungen verlangt, die im Rahmen eines Moduls abgelegt werden müssen. In einigen Fächern kann man auf Rekordzahlen von zwanzig Prüfungen pro Semester kommen. Hier bedurfte es einer Intervention der Kultusminister, um diese lokal produzierte Prüfungsschwemme wenigstens ein wenig einzuschränken.