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Biopolitik : Was ist ein Embryo?

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Der Eingriff in die unbefruchtete Eizelle.

Der Eingriff in die unbefruchtete Eizelle. Bild: dpa

Der Europäische Gerichtshof hat darüber entschieden, ob Therapien mit Stammzellen patentierbar sind. Das EU-Urteil sagt klar: Wirtschaft ist nicht alles

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          Um den Bonner Neurowissenschaftler Oliver Brüstle ist es stiller geworden, nachdem der Stammzellforscher Ende der neunziger Jahre große Hoffnungen auf baldige therapeutische Erfolge in der Behandlung neurologischer Erkrankungen wie Parkinson geweckt hatte. Der jetzige Ausgang des durch einen Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes in Gang gesetzten Verfahrens vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes (C-34/10) ist für den Grundlagenforscher eine Niederlage. In der Sache ging es um den Einspruch von Greenpeace gegen ein ihm 1999 erteiltes Patent, das die Gewinnung von Nervenzellen aus bereits existierenden menschlichen embryonalen Stammzelllinien beschreibt. Brüstle hatte ihr grundsätzliche Bedeutung zugemessen: „Die Entscheidung ist für mich ein wichtiger Indikator dafür, ob Innovation und translationale biomedizinische Forschung in diesem Bereich in Deutschland überhaupt sinnvoll sind. Und ob es möglich sein kann, dass eine Umweltschutzorganisation hierzulande den biomedizinischen Fortschritt blockiert.“

          Solche Formulierungen hatte der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Yves Bot, wohl im Sinn, als er in seinem Schlussantrag sagte, er sei sich der wirtschaftlichen und finanziellen Bedeutung der zu entscheidenden Fragen bewusst; er sehe aber Patentierbarkeit und Forschung nicht untrennbar miteinander verknüpft, es könne auch Forschung geben, deren Ergebnisse nicht patentiert werden können. Vor allem aber sei die EU „nicht nur ein zu regulierender Markt“, in ihrem Recht müssten auch Werte zum Ausdruck kommen. Bot hatte deswegen der Möglichkeit, Verfahren patentieren zu lassen, die nur durch die Zerstörung von menschlichen Embryonen entwickelt werden konnten, eine Absage erteilt.

          Embryo ist nicht gleich Embryo

          An dieser klaren Linie hat sich jetzt die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes orientiert, als sie festlegte, dass „menschlicher Embryo“ im Sinne des Patentrechts ein unionsweit einheitlicher Rechtsbegriff sei, der auch weit ausgelegt werden müsste: „Der Zusammenhang und das Ziel der Richtlinie lassen erkennen, dass der Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen wollte, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könnte.“ Gegen einen einheitlichen Begriff des „menschlichen Embryos“ hatten die wenigen Staaten, die sich in diesem Verfahren mit Stellungnahmen beteiligt hatten – Deutschland gehörte nicht dazu – Bedenken geäußert. Ein Embryo im Sinne der EU-Bio-Patentrichtlinie 98/44 ist demnach „jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist, und jede unbefruchtete menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist.“

          Offen gelassen haben die Richter dagegen, ob und wann auch eine Stammzelle, „die von einem menschlichen Embryo im Stadium der Blastozyste gewonnen wird, einen ‚menschlichen Embryo‘ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie darstellt.“ Das sollen gegebenenfalls nationale Gerichte im Lichte der jeweiligen technischen Entwicklung klären. Für die Entscheidung im aktuellen Streit um das Brüstle-Patent kommt es darauf nicht an.
          Gleichzeitig hat der Generalanwalt in seiner abschließenden Stellungnahme gerade mit Blick auf diese weite Definition des Embryos eine wichtige Einschränkung vorgenommen: Die Definition eines Embryos im Sinne des Patentrechts, die vorgenommen werde, um dessen mögliche Verwendung für Zwecke der industriellen und kommerziellen Nutzung zu regeln, sei nicht gleichzusetzen mit der Definition eines menschlichen Embryos in anderen Bereichen, vor allem beim Schwangerschaftsabbruch, bei dem es um individuelle Konfliktsituationen gehe.

          Ein Markstein in der bioethischen Debatte

          Und noch eine Einschränkung ihrer ansonsten klaren, eindeutigen Position prägt die Stellungnahme des Generalanwalts und die Entscheidung der Großen Kammer: Die Patentierbarkeit der Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken nach der Richtlinie soll nicht verboten sein, wenn sie die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken betrifft, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist – zum Beispiel, um eine Missbildung zu beheben und die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern. Damit wird der in der Bioethik-Debatte zunehmend Verbreitung findende Idee der Gruppennützigkeit zustimmend Rechnung getragen.

          Für die bioethische Debatte sind die deutlichen Worte des Generalanwalts und die eindeutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in diesem von Greenpeace begonnenen und konsequent durchgeführten Rechtsstreit wichtige Marksteine. Für zukünftige Auseinandersetzungen im Grenzbereich von Ökonomie und Ethik ist vor allem wichtig, dass die Richter klargestellt haben, dass im EU-Recht auch Werte eine herausragende Rolle spielen und wirtschaftliche Überlegungen nicht alles legitimieren können. Der Europäischen Gerichtshof hat keine bahnbrechende Entscheidung verkündet, aber er hat einen klaren Maßstab aufrecht erhalten.

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