Deutsche Philosophie : Wir sollten mit eigenen Worten denken
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Die Struktur im Adlerblick: Will Quadflieg als Faust in der Inszenierung von Gustaf Gründgens Bild: ddp Images
Manfred Frank sieht die Tradition des Deutschen Idealismus ins außereuropäische Exil getrieben. Aber das stimmt höchstens zur Hälfte. Trotzdem müssen wir etwas tun, um die Philosophiegeschichte wiederzuentdecken. Eine Replik.
Geht mal wieder das Abendland unter? Nein, diesmal ist es immerhin nur die deutsche Philosophie. So sieht es zumindest Manfred Frank: Die analytische Philosophie - hierzulande Inbegriff scholastischer Detailhuberei und Mediokrität - stehe vor ihrem „Weltsieg“ und zwinge Philosophen mit Interesse am deutschen Idealismus zum „Massenexodus“. Diese Formulierungen sind aufgrund der historischen Assoziationen, die sie wecken, ziemlich befremdlich. Aber hat Frank der Sache nach nicht trotzdem recht?
Der wahre Kern von Franks Ausführungen ist, dass die Beschäftigung mit der eigenen philosophischen Tradition in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren signifikant abgenommen hat. Dass die Lage so dramatisch ist, wie Frank sie beschreibt, lässt sich aber mit guten Gründen bezweifeln. An den Instituten in Basel, Konstanz, Leipzig und Tübingen sind in jüngerer Vergangenheit insgesamt fünf Lehrstühle mit Philosophen besetzt worden, die ihren Forschungsschwerpunkt im deutschen Idealismus haben. Im Fall von Konstanz ist das sogar an einem traditionell stark analytisch ausgerichteten Institut geschehen, an dem es zuvor noch nie jemanden mit diesem Profil gab. Nimmt man zudem an (wie jeder vernünftige Mensch es tun sollte), dass die Glanzzeit der deutschsprachigen Philosophie nicht, wie Frank schreibt, der deutsche Idealismus nach Kant, sondern die klassische deutsche Philosophie seit Kant ist, dann entpuppt sich die Behauptung, dass zu dieser Epoche in Deutschland nicht mehr intensiv geforscht und gelehrt wird, als drastische Übertreibung.
Und trotzdem - es wird heute weniger dazu geforscht und gelehrt als früher. Wie konnte das geschehen? Die Antwort ist in der Entwicklung der deutschen Philosophie der letzten zwei Jahrzehnte zu suchen, die man durchaus als historische Leistung begreifen muss, nämlich in der Ausdifferenzierung in historische und systematische Forschung. Wenn man wie ich selbst vor 25 Jahren in München angefangen hat zu studieren, musste man zu der Ansicht kommen, dass man zwar systematische Wissenschaftstheorie und Logik betreiben kann, dass die Beschäftigung mit Metaphysik, Bewusstseinsphilosophie oder normativer Ethik aber schlicht nichts anderes sein kann als das Studium von Platon, Fichte und Kant. Das ist natürlich Unsinn. Die Frage, was die grundlegende Struktur der Wirklichkeit ausmacht, wie sich das menschliche Bewusstsein zur Natur verhält und ob es unbedingte und allgemeingültige Normen gibt, ist eine andere Frage als die, was die genannten Philosophen dazu gesagt haben.
Ein Fortsetzen philosophischer Tradition
Frank schreibt, es gebe eigentlich keinen Unterschied zwischen systematischer und historischer Philosophie, sondern nur einen zwischen jüngst publizierter und früher publizierter Philosophie. Aber das stimmt nicht. In der historischen Philosophie versucht man zu verstehen, was ein bestimmter Autor behauptet, wie er es begründet und ob das, was er sagt, plausibel ist. Systematisch zu philosophieren heißt dagegen, selbst eine philosophische Frage zu beantworten und die Schriften anderer Autoren nur dazu zu verwenden, dies auf die beste mögliche Weise zu tun. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als die der Interpretation.