Feuilletonglosse : Korrupzick.ch
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Die Theaterkritik ist nicht mehr nur noch Zeitungssache, sondern auf einer Schweizer Internetplattform jetzt auch Netzsache. Der Kritiker soll Mitmacher werden, die Kritik wird Korruptionssache.
Aus der Schweiz, dem Land, dem einem Bonmot des Schweizers Friedrich Dürrenmatt zufolge das restliche Europa schon immer hätte beitreten sollen (dann hätten wir jetzt auch keine Euro-Krise), kommt ein Vorschlag, der zumindest ein breites Beitrittsgebiet für die europäische Theaterkritik eröffnet.
Es ist ja doch eine von den Theatern seit jeher beklagte kontinentale Misslichkeit, dass Zeitungen Kritiker beschäftigen, die sich aussuchen, über welche Premieren sie schreiben und über welche nicht. Und auch dann noch ein Urteil fällen, eine Meinung haben – die mit der Meinung, die das Theater selbst über die betreffende Premiere hat, in den seltensten Fällen übereinstimmt.
Der Rachen mag gestopft werden
Auch wenn es in Deutschland schon Theater gibt, die stolz darauf sind, dass zum Beispiel ein Theaterkritiker, der nebenberuflich eine Dramatikerbiographie verfasst hat, diese auf ihrer Bühne vorstellt und dafür einen geldwerten Werbe-Vorteil von dem Haus kassiert, über dessen Inszenierungen er sonst auch schreibt – gilt Theaterkritik reaktionärerweise immer noch als Zeitungsberuf. Und nicht als Theaterberuf. Dem wollen etliche Schweizer Theater einen avantgardistischen Riegel vorschieben. Sie haben eine Internetplattform „theaterkritik.ch“ gegründet.
Wobei dieser Name sich ruhig und völlig ungeniert in „korrupzick.ch“ verändern könnte. Denn die dort zu besprechenden Premieren werden nicht von einer Redaktion oder gar von einem Kritiker ausgewählt, sondern von den Theatern an Kritiker verteilt, die von den Bühnen für ihre Mühewaltung sechshundert Schweizer Franken bezahlt bekommen, also ein nettes Sümmchen, das den Rachen eventuell sich noch regender G’wissenswürmer stopfen mag.
Da bleibe ich lieber bürgerlich
Und damit das Ganze nicht so einseitig ausfällt, sollen immer zwei Kritiker auf demselben Internetplatz über die Premiere schreiben. Und damit das Ganze auch nicht zu zweiseitig ausfällt, tritt eine dritte Rezension hinzu, die das Theater selbst erstellt. So kann nichts mehr schiefgehen. Und so wird der Theaterkritiker das, als was ihn die Theater längst haben wollten: ein Mitmacher. Er bringt sich im Theater ein, und das Theater bringt sich bei ihm ein. Ein einbringliches Geschäft für beide.
Und da der Platz in Zeitungen für Theaterkritik (nicht nur in der Schweiz) immer knapper wird, bietet sich das theaterfinanzierte Bezahl-Internet ja förmlich an. Und die Korruption zickte nicht mehr, wäre fortschrittlich und hätte zudem noch den Adel des Netzes. Ich aber bleibe bürgerlich.