Tschernobyl in Österreich : Stell dir vor, es ist GAU!
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Die mittleren Jahrgänge unter uns werden sich noch gut an die Lektüre erinnern, an das im Jahr 1989 veröffentlichte Buch von Gudrun Pausewang. Es hieß „Die Wolke“ und erzählt die Geschichte eines Super-GAUs, die Handlung ist einfach, aber schauerlich: In einem Kernkraftwerk in Deutschland geschieht ein Unfall, lebensgefährliche Strahlung tritt aus, die junge Janna-Berta flieht, verliert ihren Bruder und wird krank. „Die Wolke“ war ein Buch, das in einer ganzen Generation die Angst vor der Atomtechnik wachrief.
Andreas Prochaska, 1964 in Wien geboren, gehört eigentlich nicht zur Generation der Pausewang-Leser, aber es wirkt dennoch, als hätte „Die Wolke“ auch unter seinem Kopfkissen gelegen. Sein neuer Film „Der erste Tag“ (Drehbuch: Susanne Freund) beginnt mit Sirenengeheul: In dem tschechischen Kraftwerk Dukovany hat sich eine Explosion ereignet. Es ist 4.05 Uhr morgens, und die Mitarbeiter der Landeswarnzentralen im nahe gelegenen Österreich werden per SMS in ihre Büros geordert. „Ein kleiner Störfall“, sagen einige. Die Bevölkerung zu informieren sei übertrieben und schüre nur Panik. Aber dann kommt alles anders: Der zunächst brav aus nordwestlicher Richtung wehende Wind dreht und treibt eine radioaktiv verseuchte Wolke auf das Städtchen Horn in Niederösterreich zu. Wo sie abregnet, wird nichts mehr wachsen. Das wissen Feuerwehr, Militär, Notärzte und all jene eben, die in Bewegung gesetzt wurden, um die Bauern von ihren Feldern, die Spaziergänger aus dem Wald, die Liebespaare von der Frühlingswiese zu holen. Aber auch das wird nicht reichen.
Nackt, sprachlos, in panischer Angst
Andreas Prochaska hat einen Film gedreht, der seine Spannung aus der absoluten Konzentration auf das Wesentliche zieht. Natürlich treten in „Der erste Tag“ auch Menschen auf, beispielsweise die hochschwangere Anna Renolder (Franziska Weisz), die auf Geheiß ihres in der Warnzentrale arbeitenden Mannes den gemeinsamen Sohn aus dem Kindergarten abholt und zu ihrer Schwester flieht.
Aber sehr viel mehr als das erfährt man nicht über sie, und genauso bleiben auch die anderen handelnden Figuren eigenartig konturlos. Es ist ein Taschenspielertrick: Prochaska weiß, dass sein Thema allein genug Schrecken verbreitet. Also hält er sich im Stil von „24“ strikt an die Chronologie: Ein Kraftwerk explodiert, eine Wolke zieht über das Land, es regnet. Von diesem Moment an laufen nur noch vermummte Menschen mit Schutzanzügen umher. Alle diejenigen aber, die im Regen nass geworden sind, müssen sich ausziehen und zur „Dekontaminierung“ unter die Dusche. Und da stehen sie dann, nackt, sprachlos und in panischer Angst vor einer unsichtbaren Gefahr miteinander verbunden.
Es ist ein einfaches Szenario, und der Film funktioniert vor allem deswegen, weil er das vollends respektiert. Andreas Prochaska spielt ein Szenario durch, er verzichtet auf Sentimentalität und Melancholie, und traut sich, seine Zuschauer ohne den Hauch einer Lösung ins Bett zu schicken. So viel Mut sieht man selten zur besten Sendezeit. Umso bemerkenswerter ist dieser Film.