Lena Odenthals 50. „Tatort“ : Im Rausch der Tiefe
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Ulrike Folkerts ist als Lena Odenthal die große Leidende im Reigen der „Tatort”-Kommissare Bild: SWR/Krause-Burberg
Ulrike Folkerts ist heute Abend in der ARD als Kommissarin Lena Odenthal einem Serienmörder auf der Spur. In ihrem fünfzigsten Fall gerät sie in äußerste Gefahr - sie begegnet der Gnadenlosigkeit einer kranken Seele.
Wir alles kennen das, wenn sich in Albträumen vertraute Orte in etwas Bedrohliches, Rätselhaftes verwandeln. Was eben vertraut war, ist anders, fremd, trügerisch. Am schlimmsten ist die Atmosphäre, Abläufe beschleunigen oder dehnen sich, Schauplätze wechseln mit einem Wimpernschlag, und die Worte kommen einem fremd aus dem Mund, man will dauernd wach werden - und kann es nicht.
Zu einem solchen Albtraum verdichtet sich „Hauch des Todes“ (Regie Lars Montag, Drehbuch Jürgen Werber). Anfangs löst der Blick auf sich windende Aale, schwefelgelb gefleckte Käfer, die über einen schmierigen Lederhandschuh krabbeln und unter Wasser wogendes Seegras leise Beklemmung aus. Dann sind es die Schrotthaufen und rostenden Frachter der Häfen von Mannheim und Ludwigshafen, die mit ihren Gespensterszenerien allen hochglänzenden Maklerbroschüren vom „Wohnen am Fluss“ Hohn lachen, und zuletzt windet sich Lena Odenthal um Luft ringend in einer durchsichtigen Plastikfolie. Dazu ertönt, wie mehrmals zuvor, Brahms „Deutsches Requiem“, gesungen vom zerbrechlichen Sopran eines elfjährigen Jungen.
Dieses Requiem wiederum ist das letzte, was eine Sängerin der Mannheimer Oper sang, ehe sie ermordet wurde. Sie ist das erste Opfer, zu dem Odenthal und ihr Kollege Kopper (Andreas Hoppe) gerufen werden, aber, wie sich herausstellt, beileibe nicht das einzige. Ein Serienmörder, so findet die Kommissarin bald heraus, geistert seit Jahren durch die Rheinhäfen. Dass er es auf unverkennbar starke selbstbewusste Frauen abgesehen hat, erfährt sie kurz darauf am eigenen Leib.
Ein treuer und immer wieder präziser Spiegel
Als starke Frau, wer wüsste es nicht, führte der SWR 1988 die Ludwigshafener „Tatort“-Kommissarin Odenthal ein. Und ebenso bekannt ist, dass Ulrike Folkerts ihre Figur in den letzten Jahren allmählich von der reizvoll androgynen Garconette zur reifen Frau gewandelt hat, mit weichen langen Locken statt Bubenstoppeln und zunehmend weichem Herzen. Dass sie damit nicht nur die Rolle vor dem ermüdenden Stereotyp bewahrt, sondern eine Gegenfigur zum aktuellen Trend entwickelt hat, der auf und vor dem Bildschirm Beruf und Privatleben zum Kampfsport macht, ist das Beste, was man ihr zum fünfzigsten Jubiläum bescheinigen kann. Denn damit ist Lena Odenthal dem in vielen anderen Fällen längst zerschlissenen „Tatort“-Ideal treu geblieben, ein treuer und immer wieder präziser Spiegel des bundesdeutschen Alltags zu sein.
Glaubhaft geblieben zu sein, Kurswechsel vorgenommen und sich selbst nicht immer zu ernst genommen zu haben ist das verdienst der Ulrike Folkerts, vor allem aber ihres Senders, der Autoren und Regisseure - und das von Andreas Hoppes Kopper, dem Mann, an den sie sich, wie Lena Odenthal in diesem Tatort einmal beiläufig sagt, „besser anlehnen kann.“ Wie dieser immer von einigen Kilo zuviel bedrohte „Halbitaliener“ mit dem zerknautschten Stoppelbartgesicht durch beider Küche oder den Hafenschlamm stapft, wie er Frauen missversteht, anpflaumt und anbetet, unterscheidet sich wohltuend vom Ecken-und Kanten-Getue so viele anderer Krimiserien - es ist, einige gelegentliche Ungelenkheiten des Schauspielers Hoppe abgezogen, guter Realismus.
Es menschelt in diesem Tatort
Letzterem trägt dieser „Tatort“ mit Schauspielern Rechnung, die allesamt Gesichter statt Maskenbildnerflächen besitzen: von Lars Rudolph cholerischen Hafenarbeiter über Sven Pippigs dumpf brütenden beklemmenden Matrosen und Lars Eidingers öligen Schiffsdisponenten bis hin zu Katja Bürkles assistierender herber Kommissarin Martina Schönfeld, die, vor Jahren nach einer Nacht von Kopper sitzengelassen, nun Rache sucht und einen ganz anderen Kopper findet. Selbst Judith Engel, die wie immer spielt, als sei sie aus Glas, passt in dieses dem Alltag abgesehene Ensemble, dessen Mitglieder in einigen Szenen plötzlich das Pandämonium aufblitzen lassen, das in Alltagsgemeinschaften stecken kann.
Es menschelt also, mal drastisch, mal anrührend, in diesem Tatort. Aber im Zentrum steht die Verstörung, stehen die kranke Seele eines Serienmörders und die Ängste, die er in seinen Mitmenschen entfacht. Auch wenn die Idee, derlei tiefenpsychologische Phänomene mittels einer Taucherglocke ins Bild zu setzen, krachledern anmutet: die Bilder, zu denen dieser Tatort findet, sind teilweise zutiefst beunruhigend. Mal in schnellen Wirbelnden Bildfolgen und Schnitten, mal in Zeitlupentempo zeigt er die bekannte Welt aus Perspektiven, die sie erschreckend fremd machen, voller Fallgruben, doppelter Böden und Irrwege. Dass darunter die Logik der Handlung zuweilen durcheinander gerät, dass einige Symbolismus zu dick aufgetragen sind, stört wenig - welcher Albtraum hält sich schon an die Gesetze der Vernunft?