Im Fernsehen: „Der Krieg“ : Herz der Furie
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Alles in Farbe: Szene vom U-Boot-Krieg Bild: NDR/CC&C
Welch eine Geschichtserfahrung, welch eine Vergegenwärtigung, welch ein Fernsehereignis: Die ARD zeigt den Zweiten Weltkrieg, wie wir ihn so noch nie sahen - als nahezu durchgängig farbige Dauerreportage und als Konferenzschaltung. Das ist Aufklärung im besten Sinn.
Welch eine Geschichtserfahrung, welch eine Vergegenwärtigung, welch ein Fernsehereignis. Was an den kommenden drei Montagen jeweils eine Dreiviertelstunde lang unter dem Titel „Der Krieg“ im Ersten zu sehen ist, darf als ein Meilenstein des dokumentarisch Möglichen und Legitimen gelten. Wir haben es mit der klugen deutschen Schnittfassung einer im Original doppelt so langen und über sechs Folgen verteilten französischen Produktion zu tun, für die das Team um die Regisseurin Isabelle Clarke und den Drehbuchautor Daniel Costelle in vielen Ländern und Archiven durchaus schon bekanntes, oft aber auch noch nie gesehenes Bildmaterial gesichtet und bearbeitet hat, um es schließlich zu einer so überwältigenden wie zutiefst aufklärerischen Geschichtserzählung zusammenzufügen.
Unter dem Titel „Apocalypse“ hat das französische Fernsehen die epochale Dokumentation des Zweiten Weltkriegs im vergangenen Frühherbst ausgestrahlt und im Schnitt pro Folge über sieben Millionen Zuschauer erreicht - diese vollständige Fassung übrigens werden hierzulande einige der dritten Fernsehprogramme vom kommenden Sommer an senden. Für die komprimierte Version im Ersten hat Alexander von Sallwitz, der dafür verantwortliche Geschichtsredakteur beim NDR, die Produktion vor allem um jene Passagen gekürzt, die von den innerfranzösischen Ereignissen während der deutschen Besatzung und von den Aktionen der Vichy-Regierung handeln.
Die Wahrheit verdankt sich einer Manipulation
Das Ergebnis dieser Verdichtung ist ein wahrhaft globaler Blick auf die Geschehnisse zwischen dem 1. September 1939, als Hitlerdeutschland Polen überfiel, bis zum 2. September 1945, als Japan knapp einen Monat nach dem Abwurf der beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki kapitulierte. Was diesen Krieg zu einem Weltkrieg machte: Man weiß es längst, im ganz emphatischen Sinne gesehen aber hat man es so noch nicht - und zwar trotz der großen Zahl an filmischen Dokumentationen über einzelne Etappen und Schlachten, über die Abermillionen an Opfern, über den Holocaust und die Menschheitsverbrecher, die erst den Krieg selbst und dann die Vernichtung der europäischen Juden ins Werk setzten.
Das Erstaunlichste an diesem Werk ist zweifellos, dass sich seine Authentizität, damit seine Wahrhaftigkeit, einer entschiedenen Manipulation verdankt. Der Kriegsheld dieses Dreiteilers heißt: Farbe. Und dieser Kriegsheld ist weitgehend künstlich. Denn die allermeisten bewegten Bilder, die wir vom Zweiten Weltkrieg besitzen, sind schwarzweiß. Clarke und Costelle haben sie nahezu vollständig kolorieren lassen, nach eigenem Bekunden, „um zu zeigen, wie es wirklich aussah, wie die Menschen damals diesen Krieg wirklich erlebten“. Ob die Bombardierung von Warschau, Coventry oder Dresden, ob das Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Eiffelturm, ob die Landung der Allierten in der Normandie, der Überfall auf Pearl Harbour oder die Schlachten des pazifischen Kriegs: alles, alles ist farbig geworden.
Das Ästhetisieren des Krieges fördert Erkenntnis