FAZ.NET-Fernsehkritik : Kurt Westergaard bereut nichts
- -Aktualisiert am
Kurt Westergaard war überraschend „zu Besuch” bei Markus Lanz Bild: dpa
Zugegeben, der dänische Karikaturist Kurt Westergaard ist kein Teenie-Idol wie Peter Kraus. Trotzdem war sein überraschender Auftritt bei „Markus Lanz“ im ZDF die Nachricht der Nacht, meint Matthias Hannemann.
Die Lust, an einem gewöhnlichen Abend eine deutsche Talkshow einzuschalten, hält sich bekanntlich in Grenzen. Gestern abend zum Beispiel: Gab es da ernsthaft Zuschauer, die sich von einem Fernsehgespräch mit Gästen wie Klaus Wowereit noch Erkenntnisse darüber erhofften, wie die großen Herausforderungen der Zeit, pardon: die Frage „Können wir uns die Zukunft ersparen“, zu meistern seien? Sicherlich haben diese Sendungen hin und wieder gute Minuten, unerwartete Gäste, anthropologischen Reiz. Im Großen und Ganzen aber, es ist längst Konsens, hat das fast allabendliche politische Wiederkäuen ein ganzes Genre in Verruf gebracht, obwohl es einst als demokratische Errungenschaft gefeiert worden war.
Eine Folge dieses tiefen Fernsehfrusts war es gestern, dass niemand auf die Idee kommen konnte, um 23.15 Uhr, nach der Illner-Sendung also, eine weitere Talkshow wie „Lanz“ einzuschalten. Natürlich kann man auch über diese Sendung normalerweise getrost hinwegdösen. Und natürlich war es gestern ganz besonders schwer, den eigentlichen Kern dieser Sendung zu entdecken: „Peter Kraus - seit über 50 Jahren auf der Bühne!“ Die üblichen „Markus Lanz“-Ankündigungen, muss man wissen, klingen etwas entspannter als die Leitfragen der Kollegen von der Talkshow-Politik, „Sänger, Tänzer, Moderator und Schauspieler Peter Kraus hat den Rock 'n' Roll im Blut.“ Genau so stand es noch kurz vor Sendebeginn auf der „Markus Lanz Homepage“ zu lesen.
Die zentrale Figur im Karikaturenstreit
Doch es ging nicht um Peter Kraus. Jedenfalls nicht nur. Es ging um einen Dänen namens Kurt Westergaard. Dieser Kurt Westergaard, für den es sich einzuschalten gelohnt hätte, hat zugegebenermaßen nicht den Rock'n Roll nach Deutschland gebracht. Er ist kein Teenie-Idol geworden, weder hier noch im Nahen Osten, und er taugt erst recht nicht zum hohlen Plauderton, mit dem Moderatur Markus Lanz, Peter Kraus & Kollegen die erste Dreiviertelstunde der Sendung verbrachten. Als Karikaturist ist Westergaard allerdings die zentrale Figur im so genannten Karikaturenstreit, der seit Jahren schwelt. Es war seine Zeichnung von Mohammed, von einem Turban, in dem die Bombe steckte, die nach dem Abdruck in „Jyllands Posten“ 2005 die islamische Welt gegen ihn und Nordeuropa aufbrachte. Er empörte zumal jene, die seine Karikaturen zum Anlass zu gewalttätigen Ausschreitungen vor laufenden Fernsehkameras nahmen, die selbst zu Mord und Totschlag aufriefen. Und diese Empörung nahm seitdem kaum ab.
Ganz im Gegenteil: Ein Anschlag auf Westergaard ist so wenige Monate (der Angriff auf den schwedischen Kollegen Lars Vilks nur wenige Wochen) her, dass das Interesse der „Markus Lanz“-Redaktion an diesem Gesprächspartner noch zu einem, sagen wir, etwas missverständlichen Kurs des ZDF im Vorfeld der Sendung führen konnte.
Aber psssssst! Entsprechend vorsichtig war die Herangehensweise. Das Gespräch musste aufgezeichnet werden. Statt des Publikums waren Polizisten und Nachrichtendienstler im Raum. Und Markus Lanz selbst, nervös ausnahmsweise, nutzte zwar jede Gelegenheit, sein Verständnis für die verletzten Gefühle der Muslime zu unterstreichen - ein Wort wie „Meinungsfreiheit“ aber brachte er nicht wirklich heraus. Das musste Westergaard schon selbst übernehmen.
Die demokratische Kultur akzeptieren
Westergaard kannte das schon. Umso deutlicher versuchte er zu wiederholten, was er in Medieninterviews eigentlich immer sagt: Er bereue nichts, da Europas Demokratien nun einmal durch diese Diskussion hindurch müssten. Staaten wie Dänemark seien bereit, ihren Einwanderern „Geld, eine Wohnung, Perspektiven und kostenlose Wohlfahrtsleistungen“ zu geben. Als Gegenleistung dafür müssten diese Einwanderer allerdings die demokratische Kultur akzeptieren. Und zwar auch die Satire, die ein traditionsreicher Teil dieser Kultur sei.
Lanz fand das „konservativ“, tendenziell irgendwie tendenziös. Warum er denn als Karikaturist dann nicht auch die katholische Kirche kritisiere, meinte er, die habe doch auch ihre Probleme, zumal das Christentum ja lange Jahrhunderte ebenfalls gewalttätig gewesen sei? Weil er in dem Fall das Bilderverbot achte, religiöse Gefühle respektiere? Ach, lächelte Westergaard, der Pensionär mit dem freundlichen Bart, das habe er doch auch schon alles gemacht, wenn es einen Anlass gab. Und natürlich gab es auch auf Jesus-Karikaturen hin entsprechenden Ärger, sagte er: „Nur bedroht hat mich dabei keiner.“
„Ich bin kein Rassist“
Die Mehrheit der Muslime sei friedfertig, entgegnete Lanz. Er schien gar nicht zu bemerken, wie oft ihm Westergaard im Kleinen beipflichtete. „Ich bin kein Rassist“, sagte der, „ich bin kein Fremdenhasser.“ Er kämpfe bloß für die Tolerenz, für die multikulturelle Gesellschaft und dagegen, dass eine Religion sich über die Prinzipien der Demokratie stelle, um sie niederzumachen.
Aber Religion, sagte Lanz, für den Somalier zum Beispiel, der Westergaard mit Axt und Messer angegriff, sei das womöglich der einzige Kitt im Leben gewesen! „Ich hasse diesen Mann nicht“, sagte Westergaard. Er sagte es seelenruhig. Er saß einfach nur da, einen Stock quer über dem roten Beinkleid, ein buntes Tuch unter dem schwarzen Hemd. Durchaus beeindruckend. Und immerhin: Das ZDF, das Medienvertreter kurzfristig per Pressemitteilung von dem Auftritt informiert hatte, befand es zwar auch nach der Sendung nicht für nötig, den Hinweis auf Peter Kraus auf der „Markus Lanz“-Internetseite durch eine breitere Erwähnung von Westergaard zu ergänzen. Das halbstündige Gespräch aber landete unter dem Titel „Ein Leben in ständiger Angst“ zumindest in der Mediathek. Um weltweit abrufbar zu sein. Geht doch.