FAZ.NET-Frühkritik : „Eine Lesbe streitet mit einem Schwulen über heterosexuelle Prostitution“
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Sandra Maischberger Bild: dpa
„Ob Billigsex oder Edelpuff: Schafft Prostitution ab!“ Ein heikles Thema in der Talkshow „Maischberger“. Das hätte ein gewisses Abstraktionsvermögen gebraucht. Aber das ist wohl zu viel verlangt.
„Papa, ich bin gestern beim Arbeitsamt gewesen. Der Beruf der Prostituierten scheint gut zu mir zu passen.“ „Hast Du denn die Unterlagen über die Ausbildung schon mitgebracht?“, so die Antwort des wenig erstaunten Vaters. Prostitution als Beruf könnte in Deutschland auf eine Ausbildungsordnung wohl nicht verzichten.
Dieser Vater hieße aber sicherlich nicht Jürgen Rudloff. Auf eine ähnliche Frage der Journalistin Alice Schwarzer über einen fiktiven Berufswunsch seiner Tochter meinte er: „Es würde mir das Herz zerreißen.“
Es war gestern Abend bei Sandra Maischberger der interessanteste Moment gewesen. Rudloff ist ein braun gebrannter Mann in teuren Anzügen – und wirkt wie ein typischer Vertreter jenes Bürgertums, wo alles passabel zu sein scheint: Die Frau, die Kinder, die Insignien des Wohlstands. Passabel ist halt nur nicht die Branche, in die er tätig ist. Während er seine Kinder auf die Waldorf-Schule schickt, wo, wie Frau Schwarzer zurecht betonte, die Würde des Menschen das zentrale Thema ist, würde es ihm das Herz zerreißen, wenn seine Tochter das ausübte, womit er sein Geld verdient.
Als vor zehn Jahren die Sittenwidrigkeit der Prostitution aufgehoben worden ist, hat Rudloff ein profitables Geschäftsmodell entwickelt. Es funktioniert wie ein Börsenplatz. Er stellt die Infrastruktur für Käufer und Verkäuferin zur Verfügung, sogar die Steuerproblematik wird auf ähnliche Weise gelöst. Die Frauen zahlen bei ihm 25 Euro Pauschalsteuer am Tag. Es handelt sich um eine Quellensteuer, ähnlich funktioniert die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge.
Am Schreibtisch oder an der Theke?
An dieser Stelle hätten Frau Maischberger und ihre Gäste für eine Minute schweigen sollen. Eine Aussage wirken lassen, bevor man sie zerredet. Es wurde nämlich die Widersprüchlichkeit dieses Themas Prostitution deutlich. In unseren liberalen Gesellschaften sind in den vergangenen 30 Jahren fast alle gesellschaftlichen Tätigkeiten über Märkte organisiert worden. Die Idee hinter der Entkriminalisierung der Prostitution passte durchaus in diesen Zeitgeist. Die Sittenwidrigkeit als Anspruch des Staates auf die Durchsetzung von Vorstellungen über die richtige Lebensweise seiner Bürger war obsolet geworden. Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck brachte das zum Ausdruck: „Mir geht es als Gesetzgeber nicht um Moral, sondern um die Arbeitsbedingungen von Prostituierten.“ Es geht um die Regulierung eines Marktes, der vorher schon existierte, nur über kriminelle Milieus organisiert worden war. In der Drogenpolitik wird das in gleicher Weise diskutiert.
Jemand wie Rudloff hat diesen neuen Markt entsprechend genutzt. Er ist eine Konsequenz dieser Politik. Genauso wie die Forderung von Beck, die Gewerbeaufsicht an Stelle der Polizei mit der Durchsetzung gesetzlicher Vorgaben zu beauftragen. Märkte brauchten schon immer eine Regulierung seitens des Staates, wenn sie funktionieren sollten. Die Prostitution ist in der Beziehung nicht anders zu bewerten als jede andere Dienstleistung. Für einen Ökonomen wäre das ganz banal, wenn er denn am Schreibtisch sitzt und nicht an der Theke im Etablissement von Herrn Rudloff. Dann könnten andere Überlegungen eine Rolle spielen.
Am fehlenden guten Willen hat es nicht gelegen
Diese anderen Überlegungen wurden in Maischbergers Talkrunde durchaus drastisch formuliert. Beck sprach zwar von der „besonderen Spezifität dieses Jobs“, aber Sabine Constabel, Sozialarbeiterin am Stuttgarter Gesundheitsamt, fand doch deutlichere Worte: „Ich bin für die Freier ein Stück Fleisch mit einem Loch.“ So zitierte sie eine ihrer Klientinnen. Sie benannte jene unzähligen Frauen, vor allem aus Osteuropa, die seit der Öffnung der Grenzen in einem Gewerbe arbeiten müssen, das für sie zumeist durch Zwang, Gewalt, Verachtung und archaische Ausbeutungsverhältnisse gekennzeichnet ist. Frau Schwarzer benannte das so: „Diese Frauen sind für ihre Familien ein EC-Automat, der Geld ausspuckt.“