Wie erkläre ich’s meinem Kind? : Warum so viele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken
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In verzweifelter Lage: Flüchtlinge mit ihrem überfülltem Schlauchboot in der Nähe des Frachtschiffes „OOC Cougar“ auf dem Mittelmeer Bild: Opielok Offshore Carriers/dpa
Immer wieder kentern Boote voller Flüchtlinge im Mittelmeer. Sehr viele Menschen ertrinken dann, manchmal hunderte zugleich. Warum sind sie auf der Flucht? Warum werden sie nicht gerettet? Und was kann man tun?
Man muss sich nur einmal vorstellen, im Heimatland wäre Krieg. Ein schlimmer Krieg, in dem überall Bomben fallen und viele Menschen sterben. Den Leuten, die die Bomben abwerfen, wäre es egal, ob sie dabei auch Kinder treffen. Oder man stellt sich vor, die eigene Familie wäre so arm, dass die Eltern ihren Kindern nicht genug zu Essen geben könnten, und es gäbe auch keine Aussicht, dass sich daran bald etwas ändert. In Afrika und im Nahen Osten gibt es Länder, in denen es genau so ist, zum Beispiel in Syrien oder in Äthiopien. Die zehn ärmsten Länder der Welt liegen in Afrika.
Die Eltern, die dort leben, wollen ihre Kinder aber beschützen, so wie es bei uns Eltern mit ihren Kindern auch tun. Viele Leute wollen auch ihr eigenes Leben retten und Geld für ihre Familien verdienen. Darum fliehen sie aus ihrem Land und versuchen, zu uns nach Europa zu kommen. Hier herrscht fast überall Frieden, es gibt Arbeit, und hier muss man auch nicht verhungern, weil sich der Staat um arme Leute kümmert. Die Flüchtlinge wissen das, denn es spricht sich herum unter denen, deren Verwandte es schon nach Europa geschafft haben.
Was sie oft nicht wissen, ist, wie gefährlich die Fahrt über das Mittelmeer ist. Wir kennen es als das Meer, an dessen Küsten wir im Urlaub baden gehen, aber es ist vor allem sehr, sehr groß, und es kann darüber schwere Stürme geben. Die Leute, die das Meer überqueren wollen, brauchen dafür Fluchthelfer. Wir nennen sie Schlepper, weil nur wenige von ihnen den Leuten wirklich helfen wollen. Die meisten Schlepper wollen nur viel Geld verdienen. Darum quetschen sie möglichst viele Flüchtlinge in kleine, alte, billige Boote, die heimlich losfahren. Sie fahren ohne Radar, um nicht entdeckt zu werden. Wenn ein Boot in Seenot gerät, rufen die Schlepper einfach ihre Kumpane an Land an, und die holen sie mit schnellen Motorbooten ab.
Gemischte Gefühle
Die Flüchtlinge aber müssen an Bord bleiben und alles versuchen, damit sie nicht untergehen. Wenn sie Glück haben, findet sie dann ein Schiff der italienischen, spanischen oder griechischen Küstenwache oder eins der Handelsschiffe, die auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Die Handelsschiffe müssen den Schiffbrüchigen helfen, aber sie sind dafür eigentlich gar nicht gut ausgerüstet. Am vergangenen Sonntag kam es zu einem großen Unglück, als ein Handelsschiff Schiffbrüchige aufnehmen wollte und der Schlepper-Kapitän anscheinend einen Manövrierfehler machte. Dabei kippte das Boot um, und viele Menschen ertranken. Der Schlepper-Kapitän wurde danach verhaftet.
Es ist also schon so, dass wir versuchen, den Schiffbrüchigen zu helfen. Wir tun aber nicht genug, und das hat mehrere Gründe. Erstens ist es sehr teuer, so viele Schiffe umherfahren zu lassen, um kenternde Boote zu finden. Italien hat es ein Jahr lang alleine gemacht und dafür mehr als neun Millionen Euro pro Monat gezahlt. Der italienische Ministerpräsident wollte, dass die anderen europäischen Staaten Geld dazugeben, aber das wollten sie nicht. Die Europäische Union begann danach ein ähnliches Rettungsprojekt, das drei Millionen Euro im Monat kostet. Die Mittel dafür sollen demnächst vielleicht auf neun Millionen Euro erhöht werden. Ob es dazu kommt, ist aber nicht sicher, denn viele Leute glauben, dass dann noch mehr Flüchtlinge kommen werden.
Das ist der zweite Grund: Manche Leute in Europa sehen die Flüchtlinge mit gemischten Gefühlen. Sie wollen nicht, dass sie sterben, aber sie wollen auch nicht, dass sie alle nach Europa kommen. Und sie fürchten, dass irgendwann mehr Ausländer als Einheimische hier wohnen könnten. Sie glauben, dass sie selbst dann weniger Geld bekommen, und dass hier nicht genug Platz ist. Es stört sie, dass zum Beispiel Turnhallen benutzt werden, um Flüchtlinge unterzubringen, und ihre eigenen Kinder dann nicht mehr dort turnen können.
Wir helfen, aber vielleicht nicht richtig
Außerdem gibt es unter den europäischen Staaten und sogar in Deutschland selbst Streit darüber, welche Länder wie viele Flüchtlinge aufnehmen sollen. Auch das kostet schließlich viel Geld. In einigen Ländern haben sich sogar schon Parteien gebildet, die gegen Flüchtlinge sind und verhindern wollen, dass wir noch mehr hier aufnehmen. Andererseits gibt es in den Flüchtlingsheimen aber auch sehr viele Leute, die helfen wollen und Spielsachen für die Kinder bringen.
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Weil es also keine einfache Lösung gibt, haben wir lange so getan, als gebe es das ganze Problem gar nicht, oder als kämen wir schon irgendwie damit zurecht. Seitdem aber immer mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken, sehen wir, dass wir schnell etwas tun müssen. Vielleicht etwas ganz anderes als bisher. Manche Leute überlegen, ob man nicht die Boote zerstören könnte, bevor sie in See stechen. Oder ob man direkt vor der afrikanischen Küste Patrouille fahren sollte. Oder ob man in Afrika und im Nahen Osten Büros einrichtet, wo die Leute vorher fragen können, ob sie nach Europa kommen dürfen. Und manche Leute überlegen, wie man direkt dort besser helfen könnte, wo die Probleme entstanden sind: in Syrien, Libyen und in Afghanistan, Nigeria, Eritrea oder Mali. Aber das ist wohl das schwierigste von allem.