Wie erkläre ich’s meinem Kind? : Die Sache mit den Mauern, Zäunen und Grenzen
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Ein Flüchtling Mitte September vor dem Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien Bild: dpa
Schon seltsam: Gerade haben wir gefeiert, dass eine Mauer gefallen ist, schon wollen manche Menschen neue bauen. Grenzen hat es immer schon gegeben, im Großen und im Kleinen. Gehalten hat kaum eine.
Es ist schon seltsam: In ganz Europa und auch in Deutschland fordern Menschen die Errichtung von Zäunen an den Grenzen, um Flüchtlinge am Weiterkommen zu hindern. Dabei haben wir in Deutschland vor einem Monat gerade gefeiert, weil eine Grenze niedergerissen wurde. Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck waren in Frankfurt bei einem großen Festakt in der Paulskirche und hielten Reden auf die Freiheit, in denen sie das Ereignis lobten, dessen am 3. Oktober gedacht wird: der Wiedervereinigung Deutschlands.
Eine Grenze, die jahrzehntelang Deutsche in Ost und West voneinander getrennt hatte, und die so befestigt war, dass es für Menschen aus dem Osten lebensgefährlich war zu versuchen, sie in Richtung Westen zu überschreiten (in die Gegenrichtung wollte eigentlich kaum jemand), hatte 1990 endgültig aufgehört zu existieren.
Seitdem wurden weitere Grenzen eingerissen, Europa wurde ein Raum, in dem Menschen und Waren frei unterwegs sein konnten, ohne bei dem Übertritt von einem Land in ein anderes aufgehalten und kontrolliert zu werden. Europa wurde so grenzenlos, wie es seit mehr als tausend Jahren nicht gewesen war. Zuletzt hatte das Römische Reich einen ähnlich grenzenlosen Raum in Europa geschaffen.
Keine Grenze hält ewig
Aus der römischen Zeit stammt auch der größte Versuch in Europa, einen Einflussbereich abzugrenzen – gegen die Nachbarn, die man damals schlicht „Barbaren“ genannt hat. Auf mehreren tausend Kilometern errichteten die Römer den sogenannten Limes, eine Sperranlage, die von Soldaten bewacht wurde und den „Barbaren“ den Zutritt in das Römische Reich nur an speziellen Öffnungen gestatten sollte. Dieses System von Grenzwällen zog sich von der Nordsee quer durch das heutige Deutschland, Österreich und Osteuropa bis zum Schwarzen Meer.
Eines der größten Bauwerke der Menschheitsgeschichte, die Große Mauer in China, ist ebenfalls aus dem Antrieb heraus entstanden, das eigene Territorium zu schützen. Die Vereinigten Staaten von Amerika versuchen derzeit, Einwanderer mit einem Zaun an der mexikanischen Grenze vom unerlaubten Grenzübertritt abzuhalten. Israel baut an einer Mauer, um den Zugang von Palästinensern in das Land zu kontrollieren. Die beiden Sperrwerke sind aber nichts gegen die Grenze zwischen den beiden koreanischen Staaten. Dort stehen schwer bewaffnete Grenzanlagen, die Nord- und Südkorea die Sicherheit bieten sollen, nicht vom jeweils anderen Land überfallen zu werden. Und eigentlich sind auch die Gartenzäune, die überall in Deutschland zu finden sind, kleine Grenzen, mit denen jeder Grundstücksbesitzer sein Hab und Gut deutlich erkennbar markieren kann.
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Der Unterschied zwischen all diesen Grenzanlagen und der Mauer, die Deutschland trennte, war, dass diese Menschen draußen halten sollen, während die Mauer dazu da war, die Bewohner der DDR einzusperren – auch wenn die Politiker der DDR das Gegenteil behauptet und sie einen „antifaschistischen Schutzwall“ genannt haben. Die Erfahrung der Weltgeschichte lehrt jedoch, dass Grenzanlagen kaum ewig halten. Ist der Druck groß genug, sei es von außen oder von innen, fallen sie. Deshalb wäre die Errichtung von neuen Grenzen in Europa auch nur der kurzfristige Versuch, ein großes Problem in den Griff zu bekommen.