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Wie erkläre ich’s meinem Kind? : Warum jemand lügt und wie man damit umgeht

Sie sehen: Das größte Publikum, das je einem Präsidenten zugejubelt hat. Bild: AP

Anscheinend lügt Donald Trump, und er findet gar nichts dabei. Wer „alternative Fakten“ verbreitet, macht es sich zugleich leicht und schwer. Und will bei seinen Gegner etwas Bestimmtes erreichen.

          3 Min.

          Das Wort „alternativ“ ist ganz schön auf den Hund gekommen. Früher benutzte man es für Dinge, die anders gemacht werden als sie normalerweise gemacht werden, und zwar mit gutem Willen. Wer einen „alternativen Lebensstil“ hatte, der versuchte, Müll zu vermeiden und gesund zu essen. „Alternative“ Musik war interessant, aber selten im Radio zu hören. „Alternativ“ stand einmal für den mühevollen Versuch, etwas besser zu machen. Und zwar dadurch, dass man über die Dinge länger nachdachte als andere.  Die Alternativen, von denen man heute redet, machen aber kaum etwas besser.

          Andrea Diener
          Korrespondentin im Main-Taunus-Kreis

          Wann genau der Begriff in Verruf geriet, ist schwer zu sagen. Vielleicht mit der sogenannten „alternativen Medizin“, die meistens nur bedeutet, dass jemand eben nicht das macht, was der Arzt sagt, weil er glaubt, der Arzt lügt und er wisse es besser, was dann meistens nicht gutgeht. Der Arzt hat eben studiert, der Patient glaubt nur, irgendetwas zu wissen. Dann kam eine Partei, die sich „Alternative für Deutschland“ nannte und glaubt, sie wisse am besten, was für Deutschland gut ist. Besonders konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Lage konnte man von ihr noch nicht hören.

          Es ist weniger anstrengend, die Wahrheit zu sagen

          Seit ein paar Tagen reden nun alle von „alternativen Fakten“. Nämlich, seit Donald Trumps Pressesprecher Sean Spicer beim Lügen erwischt wurde. Bei der Vereidigung von Trump zum amerikanischen Präsidenten seien so viele Menschen im Publikum gewesen wie noch nie, sagte er, was aber nicht stimmt. Er wurde dann von Trumps Beraterin Kellyanne Conway verteidigt. Herr Spicer habe nicht gelogen, sagt Frau Conway, er habe nur „alternative Fakten“ genannt. Seitdem rätseln alle, was der Unterschied zwischen alternativen Fakten und Lügen sein soll. Und was man mit einem Präsidenten macht, der anscheinend nichts dabei findet, wenn öffentlich die Unwahrheit gesagt wird.

          Lügen ist anstrengend. Man muss sich einiges ausdenken, und man muss sich alles merken, um sich nicht selbst dauernd zu widersprechen. Es ist deutlich weniger anstrengend, einfach die Wahrheit zu sagen. Deshalb werden wir beim Lügen nervös, das Herz klopft, wir schwitzen oder zittern, weil wir Angst haben, aufzufliegen. Wenn wir lügen, wissen wir genau, dass wir die Unwahrheit sagen, aber wir tun es trotzdem. Manchmal aus Höflichkeit, um jemanden nicht zu verletzen. Oft aber aus Angst vor Strafe, aus Unsicherheit oder einfach zum Spaß. Manche Lügen sind harmlos, Aprilscherze zum Beispiel, andere können großen Schaden anrichten. Was aber, wenn ein Präsident lügt, oder seinen Sprecher für ihn lügen lässt?

          Es ist eben doch wichtig, was einer sagt

          Es gibt das schöne Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“. Das stimmt für die meisten Menschen, denn wenn man einmal jemanden als unglaubwürdig eingestuft hat, dann bleibt das hängen. Aber für Präsidenten gilt das anscheinend nicht. Ziemlich viele Leute glauben Donald Trump immer noch alles, obwohl er dauernd lügt. Das ist doch egal, sagen sie, Hauptsache er tut das, wofür wir ihn gewählt haben. Wenn er ab und zu rumflunkert und behauptet, sein Publikum sei das größte, dann ist das nicht so wichtig.

          Es gibt nur eine Wahrheit. Man muss sich halt die Mühe machen, genau hinzuschauen, dann findet man sie heraus.
          Es gibt nur eine Wahrheit. Man muss sich halt die Mühe machen, genau hinzuschauen, dann findet man sie heraus. : Bild: Reuters

          Aber das ist es eben doch. Jemand, der eine Gruppe von Leuten leitet, dem muss man vertrauen können. Man will keinen Klassenlehrer haben, der behauptet, eins plus eins sei drei – man weiß dann ja gar nicht, ob der einen noch richtig benotet. Außerdem weiß man dann nicht, ob die Dinge, die er einem beibringt, auch außerhalb des Klassenzimmers stimmen, oder ob es nur seine Privatwahrheit ist. Und genauso will man keinen Präsidenten haben, der sagt, sein Publikum sei das größte, und überhaupt stimme es gar nicht, dass die Erde immer wärmer wird. Das sagt Donald Trump nebenbei nämlich auch noch, obwohl fast alle Wissenschaftler sich einig sind, dass es so ist.

          Das wäre ein ganz schönes Chaos

          Und wenn er immer so weiterbehauptet, dann winkt man irgendwann genervt ab und sagt, jaja, ist gut, ist deine Meinung, ich hab meine. Das ist gefährlich. Denn plötzlich geht es gar nicht mehr darum, was eigentlich die Wahrheit ist, dann kann jeder froh vor sich hinbehaupten, dann ist alles richtig. Dann ist eins plus eins drei oder vier oder fünf, ist ja auch egal, dann wird die Erde immer kälter oder immer eckiger, alle Wissenschaftler reden Unsinn und Medizin hilft uns gar nicht, Elefanten sind rosa und Frösche bellen, und so weiter. Dann stellt man alles in Frage, was die Forscher in den letzten Jahrhunderten mühevoll herausgefunden haben, und es geht nur noch darum, was der Präsident glaubt, was richtig ist. Das wäre ein ganz schönes Chaos. Und die Wissenschaftler wären arbeitslos, weil sich niemand mehr dafür interessiert, was jetzt stimmt oder nicht. In einer Welt, in der es keine Wahrheit mehr gibt, ist es auch egal, ob jemand lügt.

          Bild: Johannes Thielen

          Weil aber niemand, wenn er einmal darüber nachdenkt, in so einem Chaos leben will – man kann sich ja nicht einmal mehr auf seinen Arzt oder Lehrer verlassen –, sollte man darauf achten, dass alle sich bemühen, bei der Wahrheit zu bleiben. Es gibt bei so einfach feststellbaren Dingen wie der Größe eines Publikums nämlich nur eine Wahrheit, und man kann sie leicht feststellen, indem man die Menschen zählt. Wer glaubt, es könnten gleichzeitig drei und dreiundzwanzig und dreitausend Leute auf einem Platz stehen, und das seien alles alternative Wahrheiten, der lügt. Und man sollte immer wieder nachzählen und dann laut sagen, dass er lügt. Nichts sonst verhindert das Chaos.

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