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Vorgeburtliche Diagnostik : Der Traum vom perfekten Kind kann schnell zum Albtraum werden

Wohin führt das Wissen über seine Gesundheit? Menschliches Embryo Bild: picture alliance / Mary Evans Picture Library

Immer häufiger kommt die Gentechnik in der vorgeburtlichen Diagnostik zum Einsatz. Und stellt werdende Eltern vor riesige Konflikte: Das Wissen über die Gesundheit des ungeborenen Kindes wird zu einer Frage von Leben oder Tod.

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          Man sollte Fragen besser nicht stellen, deren Antworten man nicht erträgt. Eine werdende Mutter hat sich deshalb bewusst gegen die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik entschieden. Sie will weder eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, um Auskünfte über die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes einzuholen, noch an einem Bluttest teilnehmen, der Schwangeren neuerdings angeboten wird, um genetische Defekte am Embryo frühzeitig zu erkennen. Die Mutter würde das Kind auch bekommen, wenn es krank wäre, sagt sie, deshalb sei die Information für sie uninteressant.

          Sandra Kegel
          Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton.

          Jeder, der heutzutage ein Kind erwartet, muss diese schwerwiegende Entscheidung für sich treffen. Wie viel will, wie viel darf ich wissen über das Leben, das da im Bauch einer Mutter wächst? Denn seit die Gentechnik immer häufiger in der vorgeburtlichen Diagnostik zum Einsatz kommt, stehen werdende Eltern vor riesigen Konflikten. Sie müssen nämlich Entscheidungen treffen, die sich früher gar nicht stellten. Da waren Frauen guter Hoffnung – guter Hoffnung eben, dass das Kind gesund sein möge.

          Erst der Anfang

          Der neue Bluttest, den Eltern heute für rund tausend Euro angeboten wird, erteilt Auskunft vor allem über Trisomie 21, also darüber, ob das Kind an Down Syndrom leiden wird. Schon früher wurde dies mittels einer Fruchtwasseruntersuchung geprüft. Doch weil der Eingriff eine gewisse Gefahr für das ungeborene Leben darstellte, schreckten viele davor zurück. Der neue Test, der nur das Blut der Mutter untersucht, ist hingegen harmlos. Nur die Informationen, die er preisgibt, die haben es in sich. Denn das Wissen über die Gesundheit des ungeborenen Kindes kann schnell zu einer Frage von Leben oder Tod werden. Und der Traum vom perfekten Kind zum Albtraum.

          Dennoch sprechen Humangenetiker wie Sabine Rudnik-Schöneborn in Patrick Hünerfelds aufschlussreicher Dokumentation „Der Traum vom perfekten Kind“ von einem neuen Zeitalter in der vorgeburtlichen Diagnostik: „Wir blicken hier auf eine Möglichkeit, die uns ungeahnte Informationen über das ungeborene Kind geben, ohne dass wir dafür an das Kind selbst herantreten müssen. Und das ist schon eine radikale Erneuerung in der vorgeburtlichen Medizin.“

          Dabei machen sich viele Eltern nicht klar, dass die Diagnostik ihre Sorgen nicht löst, sondern auslöst. Denn genetische Abweichungen wie das Down Syndrom kann man nicht heilen. Deshalb geht es hier, wenn man tatsächlich einen Befund hat, vor allem um die Frage eines Schwangerschaftsabbruchs. Die Zahlen hierüber sind eindeutig: Einmal entdeckt, werden neunzig Prozent aller Föten mit Trisomie 21 abgetrieben. Vor dieser „Art Screening“ für das Down-Syndrom  warnt deshalb der Humangenetiker Peter Wieacker von der Universitätsklinik Münster.

          Patrick Hünerfelds Dokumentation „Der Traum vom perfekten Kind“ ist als DVD im Wissens-Verlag erschienen und kostet 14,95 Euro
          Patrick Hünerfelds Dokumentation „Der Traum vom perfekten Kind“ ist als DVD im Wissens-Verlag erschienen und kostet 14,95 Euro : Bild: Der Wissens-Verlag

          Die Dokumentation, die vor einiger Zeit in der ARD-Reihe „die story“ zu sehen war und jetzt als DVD erschienen ist, versammelt die verschiedensten Stimmen, die hiervon betroffen sind: Werdende Eltern kommen ebenso zu Wort wie Pränatalmediziner und Betroffene. Juliana Götze und ihre Kollegen vom integrativen Theater RambaZamba in Berlin zum Beispiel empfinden den neuen Bluttest als Angriff auf das Lebensrecht von Menschen mit dieser Krankheit. „Jeder ist normal ein Mensch“, sagt Juliana Götze, „und man fühlt sich auch wie ein normaler Mensch einfach“. Für die Regisseurin Giesela Höhne, die selbst einen Sohn mit Down Syndrom hat, ist dies eine der schlimmsten Situationen, die sie sich überhaupt vorstellen kann: „Dass gerade diese Menschen, die so freundlich und auch so offen anderen Menschen gegenüber kommen, und so witzig auch sind. Dass die gerade nicht mehr existieren sollen. Die Welt ist so viel ärmer ohne diese Menschen. Davon macht man sich noch gar kein Bild. Und ich finde das eine richtige Tragödie, ich finde es wirklich eine richtige Tragödie, dass diese Menschen, ich sage es wirklich so: ausgerottet werden sollen.“

          Eines  ist klar: Die Suche nach der Trisomie 21 ist nur der Anfang. Denn schon bald, das macht dieser Film mehr als deutlich, dürften noch viele andere genetische Abweichungen ebenso ins Visier der Genentschlüsseler geraten. Ein Mediziner malt sich schon aus, wie Eltern dereinst in seinem Sprechzimmer stehen werden und verzweifelt zu ihm sagen: Ich habe eine Blutprobe nach Amerika geschickt, und jetzt heißt es: Mein noch ungeborenes Kind hat ein fünffach erhöhtes Risiko für Darmkrebs, dafür ist es hochmusikalisch. Was soll ich jetzt tun?“

          Tatsächlich gelang kürzlich bereits der komplette Gen-Check eines ungeborenen Kindes. Die Zukunft hat begonnen, wir müssen uns ihr stellen.

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