Phänomen Hochbegabung : Premium-Kinder für den Standort D
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Ist das der gewünschte Trend? Susanne Lossow und Quynh Phan Ngoc besuchen im Jahr 2007 als 17 Jahre alte Gymnasiastinnen eine Vorlesung an der Martin-Luther Universität in Halle. Bild: dpa
Männlich, deutsch, Nerd, bebrillt, schlechte Frisur, Außenseiter – so das gängige Klischee vom hochbegabten Kind, das mehr will, als es altersgemäß soll. Dabei ist es als Humankapital längst begehrt.
Das Satire-Magazin „Titanic“ hält für alle besorgten Eltern, die sich fragen, ob ihr Kind hochbegabt ist, einen Schnelltest bereit. Ein Klick, schon weiß man die Antwort. Sie lautet: „NEIN“ – geschrieben in großen schwarzen Lettern, damit es auch jeder kapiert. Dieses Nein kann als Seitenhieb auf eine von Abstiegsängsten geplagte Mittelschicht im Förderwahn interpretiert werden, man kann es aber auch als Kritik an einer verbreiteten Skepsis gegenüber außergewöhnlicher Begabung verstehen. Was nicht der Norm entspricht, sorgt für Unruhe. Doch was genau heißt Hochbegabung überhaupt?

Redakteurin im Feuilleton.
Der Brockhaus müsste eine prägnante Definition liefern. Tut er aber nicht: „Ohne auf eine einheitl. Definition der Hochbegabung zurückgreifen zu können, gelten als deren Merkmale ein hoher IQ-Wert (von mindestens 130/140), Aufgeschlossenheit für Neues, Aufgabenlösungsmotivation, Kreativität, flexibles Denken und originelle Aufgabenlösungen.“ Da bis auf eine der genannten Hürden, die zur Attestierung einer Hochbegabung genommen werden müssen, allesamt Interpretationsspielraum lassen, halten wir uns erst einmal an den Intelligenzquotienten.
Nichts Besseres, als der IQ
Wie zuverlässig also ist der IQ in der Hochbegabtenauswahl? Eva Stumpf, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Rostock, sagt: „Ein IQ von 130 ist die einzige Definition, mit der man gut arbeiten kann. Die Definitionen, die mehrere Faktoren einbeziehen, wie etwa überdurchschnittliche Kreativität und Motivation, stellen für die Diagnostik mehr oder weniger unlösbare Probleme dar.“ Man könne schlicht nicht jedes Kind einer fünfstündigen Eingangsdiagnostik unterziehen. In der Forschung müssten ökonomische Konstrukte greifen, was nicht heiße, dass in der Praxis außerordentlich Begabte, die keine rein intellektuellen Spitzenwerte aufwiesen, durchs Raster fielen. Tatsächlich?
Zu den Intelligenztest-Verfechtern zählt auch der Marburger Psychologieprofessor Detlef H. Rost, der unlängst in einem Interview sagte: „Ich schmeiße den IQ sofort weg, wenn Sie mir etwas Besseres bringen.“ Aber es hat ihm eben noch niemand etwas Besseres gebracht, weshalb auch er an der Zahl 130 festhält.
Kinder über der Norm
Nur: Was misst so ein Intelligenztest eigentlich? „Konvergentes Denken“, sagt Ingmar Ahl, „aber Hochbegabung ist doch zuallererst die Fähigkeit, divergent zu denken, anstatt bloß andressierbare kognitive Kunststückchen aufzuführen.“ Ahl ist Vorstand der 1989 gegründeten Karg-Stiftung, die keine Optimierungsschmiede ist, sondern Kita und Schule für hochbegabte Kinder und Jugendliche verbessern möchte. Das Augenmerk liegt deshalb auf der Information und Qualifizierung psychologischer und pädagogischer Fachkräfte in der Potential-, statt Defizitorientierung, meist in Kooperation mit den Kultusministerien.
Ahls Definition hochbegabter Kinder lautet so: „Es sind Kinder, die mehr wollen, als sie altersgemäß sollen. Kinder eben mit einem besonderen kognitiven Leistungsvermögen über der Norm, die besondere Lern- und Leistungsansprüche an ihr Bildungsumfeld stellen.“ Von der Vergottung der Zahl 130 im öffentlichen und politischen Diskurs hält er nichts, Intelligenz und Hochbegabung sind für ihn keine zwei Kreise, die man passgenau übereinanderlegen kann.
Erziehung zu Höchstleistern
Damit aus einem intelligenten Kind ein hochbegabtes wird, braucht es mehr als ein IQ-Etikett. „Es braucht, was alle anderen Kinder auch brauchen: Das individuelle Vermögen, das Wissenwollen und Welterschließen auf hohem Niveau muss vorkommen dürfen, angenommen und gezielt gefördert werden. Auch das hochbegabte Kind kommt dabei aber nicht ohne die sogenannten Metakompetenzen, also Anstrengungsbereitschaft, Motivation, aus, all die Dinge, die gelingende Bildungsgänge ausmachen.“ Dass auch ein stimulierendes Umfeld großen Einfluss auf die Potentialausschöpfung hat, liegt auf der Hand. Intelligenz hat nicht zwangsläufig eine herausragende Leistung zur Folge. Das Reiz-Reaktions-Modell greift schlicht zu kurz. Ahl sagt: „Trotzdem findet man dieses etwas naive Verständnis leider oft in den bildungspolitischen Begründungen der Hochbegabtenförderung und Konzepten der Bildungspraxis selbst.“