
Folgen des Mauser-Falls : Toxisch
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Man habe keinen Grund, das Urteil anzuzweifeln, teilt der Leiter des Lyrikkabinetts mit, und im Übrigen mit Siegfried Mauser ja gar nichts zu tun. Bild: dpa
Der Fall des wegen Sexualdelikten verurteilten Musikwissenschaftlers Siegfried Mauser zieht auch Institutionen in Mitleidenschaft, die nichts damit zu tun haben. Das Münchner Lyrikkabinett etwa, das eigentlich nur Geburtstag feiern wollte.
Die Siegfried-Mauser-Stadt München kommt nicht zur Ruhe. Der Fall des nunmehr rechtskräftig wegen mehrerer Sexualdelikte zu einer Freiheitsstrafe verurteilten, kürzlich aber noch mit einer akademischen Festschrift geehrten Musikwissenschaftlers beginnt, toxisch zu werden und nun auch Institutionen in Mitleidenschaft zu ziehen, die nichts damit zu tun haben – oder eben nur mittelbar: Das Lyrikkabinett feiert am 4. Dezember mit einer Lesung von dem Haus verbundenen Lyrikern sein dreißigjähriges Bestehen. Michael Krüger, der Kuratoriumsvorsitzende, wird dabei die Begrüßungsansprache halten und die Lebensleistung der Kabinettsgründerin und Stifterin Ursula Haeusgen würdigen.
Dagegen hat die als Gast eingeladene Lyrikerin Birgit Müller-Wieland in einem offenen Brief protestiert und ihr Fernbleiben angekündigt, mit der Begründung, der ehemalige Hanser-Verleger und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste habe in zwei „Sigi Mauser“ persönlich und ausdrücklich zugeeigneten Gedichten, eines davon in der Mauser-Festschrift, sexuelle Gewalt verharmlost und den Rechtsstaat angezweifelt beziehungsweise angegriffen. Letzteres kann man, ohne schon das Gras wachsen hören zu müssen, in der Tat aus einem der beiden Gedichte herauslesen, die man ohne die den Kontext zu Mauser ja überhaupt erst schaffenden Widmungen als Naturlyrik bezeichnen könnte; Ersteres jedoch nicht oder nur, wenn man das auch will.
Im Namen des Volkes
Krüger oder sein lyrisches Ich spricht von aus Schaffell gewonnenen „Roben für die Richter und Staatsanwälte / die Recht sprechen sollen / auch wenn es kein Recht zu sprechen gibt / Hochmut und Dünkel werden in den Stoff gewebt / damit er glatt fällt, wenn sie sich / im Namen des Volkes erheben von ihren Stühlen“. Die Frage, ob sich, wer das gegen Mauser ergangene Urteil kritisiert, schon der Verharmlosung der verhandelten Vergehen schuldig macht, wird man am Ende kaum beantworten können; so etwas ist wahrscheinlich Auslegungssache.
Holger Pils, der Leiter des Lyrikkabinetts, teilt auf Anfrage dieser Zeitung etwas achselzuckend mit, man habe keinen Grund, das Urteil anzuzweifeln, und im Übrigen mit Siegfried Mauser ja gar nichts zu tun. Man bedaure die Absage und habe mit der fernbleibenden Lyrikerin ein vernünftiges Gespräch geführt, die sich ihrerseits, um das Kabinett nicht noch (weiter) zu beschädigen, nicht mehr zu der Sache äußern will. Dass sie beim Kabinettsgeburtstag ohnehin nicht die Hauptperson gewesen wäre, ist das eine. Das andere ist ihr offener Brief, den man, obwohl aus einer gleichsam hinteren Reihe abgeschickt, als weiteres Indiz dafür zu werten hat, wie heftig das, wofür MeToo steht, das Münchner Kulturestablishment beschäftigt und vermutlich auch weiterhin beschäftigen wird.