Szilárd Rubin: „Kurze Geschichte von der ewigen Liebe“ : Der Himmel über ausgebluteten Herzen
- -Aktualisiert am
Bild: Rowohlt
Der ungarische Autor Szilárd Rubin ist zu Unrecht vergessen. Seine Geschichte zählt zu den aufregendsten Liebesromanen des letzten Jahrhunderts: ein Kleinod von einem Roman, erschütternd schön und mühelos vollkommen.
Man reibt sich die Augen über diesem Buch und kann es kaum fassen: ein Kleinod von einem Roman, erschütternd schön und mühelos vollkommen, das fast fünfzig Jahre lang jeder Aufmerksamkeit entging. Zwar wurde die „Kurze Geschichte von der ewigen Liebe“ 1963 schon einmal in der ungarischen Heimat des Autors verlegt, doch sie schlug keine Wellen.
Vermutlich erwartete die Literaturkritik damals eine andere Art von sozialem Bewusstsein, als Szilárd Rubin es zu bieten hatte. Der glasklare Ton dieser ideologiefreien Prosa war dem politischen Geist des Poststalinismus offenbar einfach zu fremd. Dabei gebührt der „Kurzen Geschichte“ ein Platz unter den aufregendsten Liebesromanen des zwanzigsten Jahrhunderts auf Augenhöhe mit Henri Alain-Fourniers „Großem Meaulnes“ und Scott Fitzgeralds „Großem Gatsby“.
Die erste Liebe und ihr unvermeidlicher Verrat
Auch bei Rubins Ich-Erzähler Attila dreht sich alles um den Rausch der ersten Liebe und gesellschaftliche Umstände, die ihren Verrat fast unvermeidlich machen. Zugleich handelt der Roman von der vergeudeten Jugend einer Generation, die vor und noch im Zweiten Weltkrieg voller Illusionen aufwuchs und sich nach seinem Ende radikal umorientieren musste. Wer nicht aus dem Land floh oder im Gefängnis landete, arrangierte sich mit den neuen Machtverhältnissen: „Scharf wie ein Schatten zur Mittagszeit stand mir Hédis Schicksal vor Augen – und das aller anderen Jungen und Mädchen aus dem Kleinbürgertum, die nach dem leeren Nimbus einer untergegangenen Klasse gierten.“
Wie Attilas Geliebte Orsolya geht Hédi eine Vernunftehe ein, die ihr einen Mann beschert, dessen brutale Biederkeit ihr fast den Verstand raubt. Attila versucht der Freundin zu imponieren, indem er im Kulturleben Karriere macht, dabei aber sein Talent durch linientreue Gedichte ruiniert. Bei der ihm an bitteren Erfahrungen überlegenen Deutsch-Ungarin Orsolya erntet er Verachtung. „Abgemagert und kellerbleich“ kehrte das Flüchtlingskind „aus dem erloschenen Dresden nach Ungarn“ zurück, wo das Apothekenhaus ihrer Familie von den neuen Herren längst konfisziert worden ist. Die Ernüchterung der Protagonisten ändert nichts am Zauber eines Romans, dessen Reize sich auch den ländlichen Szenerien verdanken. Rubins Welt ist direkt und plastisch, voller Gerüche und Atmosphären. Die Erfrierungen an Orsolyas Füßen, „Andenken an unzählige Fußmärsche während des Krieges – kribbeln in der Wärme“ eines Zugabteils, es duftet nach Quitten, und der an den Schuhen hereingetragene Schnee verdampft auf dem Boden.
Alles ist durchdrungen von gelebter Zeit
Selbst der am Nachthemd des Mädchens funkelnde Perlmuttknopf ist Relikt einer Epoche, in der sich die Romanästhetik noch nicht von den gleichmäßig erleuchteten Oberflächen digitaler Bilder inspirieren ließ. Alles bei Rubin ist taktil und von gelebter Zeit durchdrungen, ein Koffer ist ein Pappkoffer, ein Zwicker aus Draht, Orsolyas Badeanzug ausgebleicht und ein Anzug schon glänzend, weil aus der Soutane des Vaters geändert. Wenn Attilas Anzug ausnahmsweise neu ist, dann wurde er gegen „zwei fette Gänse“ geschneidert. Es herrscht Naturalienwirtschaft, die Trommel in der Ecke einer Pension hat „ein Kostgänger zur Tilgung seiner Mietschuld hinterlassen“. Von ihrem Erlös wird die Vermieterin ihrem verstorbenen Mann einen Grabstein setzen. Um den Grabstein der Mutter vergolden zu lassen, war Attilas Vater „seinerzeit sogar zu hungern bereit“.