Rühmkorf-Ausstellung : Der Wortschnuppenfänger
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Peter Rühmkorf in seiner Hamburger Studentenbude, um 1955 Bild: Dieter Heggemann, DLA-Marbach, www.dla-marbach.de
Arbeit am narbengesichtigen Sudelbrett der Poesie: Hamburg zeigt die erste große Ausstellung zu Leben und Werk des Dichters Peter Rühmkorf im Altonaer Museum. Das wurde auch Zeit.
Dass er unvergleichlich ist, hatten wir nicht vergessen. Aber es tut gut, es sich wieder einmal vor Augen führen zu lassen, jetzt, elf Jahre nach Peter Rühmkorfs Tod und wenige Wochen vor seinem neunzigsten Geburtstag. Also raus aus dem Zug, ein paar Schritte durchs schöne Hamburg, rein ins Altonaer Museum, dann noch quer durch die Säulenhalle mit den alten Schiffsmodellen, rasch ein Blick in den Galionsfiguren-Saal, und schon befinden wir uns wieder in Rühmkorfs Reich. Existiert es nicht nur auf dem Papier? Besteht es nicht nur aus Worten? Nein, Gedichte, wenn sie gut sind, sind nie allein aus Worten gemacht.
Sondern aus Einfällen. Aus „Lyriden“ und „Quanten“, wie Rühmkorf seine Wortschnuppen, Schnipsel, und Fragmente nannte, denen er unablässig nachjagte, die er auflas und hortete wie Strandgut: Fragmente, Bauteile, Querstreben, Stützbalken und Schlusssteine zu einem poetischen Gesamtwerk, das nie nach Abschluss und Vollendung strebte, sondern nach Wahrheit, Witz und Dauer. Gedichte werden gemacht aus und für Ewigkeit und Augenblick, sie werden destilliert aus Identitäten und Emotionen, Tradition und Anverwandlung, Artistik und Arbeit, Abwehr und Verehrung. Sie sind Selbstenthüllung und Maskenspiel, Narrenkleid und Krönungshermelin zugleich.
Der Leser als "Individuum aus nichts als Worten"
Im Gedicht zeigt sich der Lyriker nicht zuletzt auch selbst: „als Wechselbalg von Persönlichkeit, halb der Natur entsprungen, halb ins Kostüm verwickelt“. Der Dichter im Zeitalter seiner vermeintlichen Entbehrlichkeit, unter den Bedingungen der Warenförmigkeit aller Kunstproduktion, ist ein Anachronismus, ein Exot und „anthropologisches Monstrum“, wie Rühmkorf Mitte der siebziger Jahre schrieb. Er ist aber auch und immer noch „Einmalig wie wir alle“ (1989), ein Exemplum für sich und uns, für alles und nichts, das überdies nicht aufhören kann, Fragen zu stellen: „,Was ist der Mensch?‘ / (sein Wesen?) – schwer zu fassen. / Lauter so Sprenkel, die nicht zueinander passen. / Von wo entsprungen, woraufhin vermengte? / Vielleicht, daß die mal jemand logisch aneinanderhängte ...“
All das kann man sehen, wissen, erfahren und erleben, wenn man nur die Gedichte von Peter Rühmkorf liest und nichts sonst. Zeitgenossenschaft, Selbstbeobachtung zu verschärften Bedingungen, festgehalten im poetischen journal intime, und anregendster Dichteraustausch über die Jahrhunderte hinweg, von Brecht, Benn, Brockes und Bellman über Ringelnatz und Klopstock bis zurück zu Walther von der Vogelweide, „des Reiches genialster Schandschnauze“, all das ist bei ihm zu finden. Man könnte damit zufrieden sein.
Rühmkorf selbst wäre mit einem solchen Leser nicht zufrieden gewesen. Da hatte er andere Vorstellungen. Wenn er träumte, dann aber richtig. Einerseits von einem „Individuum / aus nichts als Worten“, andererseits von einer aufgeklärten Masse, zusammengesetzt und vermengt aus Einzelwesen, entsprungenen und gesprenkelten, vor allem aber aufgeklärten, mündigen, selbstbestimmten Einzelwesen, die sich aus Not, Überzeugung und freiem Willen zusammengetan haben, um den Umständen, also den politischen Verhältnissen, zu trotzen: „Finsternis kommt reichlich nachgeflossen; / aber du mit – such sie dir! – Genossen! / teilst das Dunkel, und es teilt sich die Gefahr, / leicht und jäh --- / Bleib erschütterbar! / Bleib erschütterbar – und widersteh.“