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Rückkehr in die Heimat: Jonas Mekas in Litauen 1971 Bild: Spector Books

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Was für eine Wundertüte für Literatur und Film: Der zweite Band mit Tagebuchnotizen von Jonas Mekas

          5 Min.

          Jonas Mekas war ein besonderer Künstler. Ein Dichter, ein Filmemacher, ein Autor von Kolumnen, Kritiken und Briefen, der Gründer von Filmzeitschriften und der New Yorker Anthology Film Archives, und weil er sehr lange lebte, nämlich vom 24. Dezember 1922 bis zum 23. Januar 2019, hatte er am Ende Freunde, Mitstreiter und Schüler aus mehreren Generationen. Und weil er nichts wegwarf, was von irgendeinem Nutzen oder Interesse für ihn (oder die Geschichte möglicherweise) war oder irgendwann einmal sein könnte, besaß er am Ende eine Menge Zeugs. So nannte er das selbst bei einem Treffen in New York: „I have a lot of stuff.“

          Soweit das „Zeugs“ Filme waren, sind sie erhalten, gut dokumentiert und nicht nur in Spezialistenkreisen bekannt. Sie gehören zum Zauberhaftesten und auch zum Wahrhaftigsten, was das Avantgarde-Kino seit den Sechzigerjahren hervorgebracht hat. Soweit das Zeugs auf Papier vorlag, wurden Bücher daraus, dicke, aber geschmeidig broschierte Werke, die bei uns der Spector Verlag aus Leipzig herausbringt. Außer dem „Scrapbook of the Sixties“, das Texte von 1954 bis 2010 umfasst, sind es sämtlich Tagebücher. „Ich hatte keinen Ort“ heißt das früheste aus der Jugend von Mekas, das von seiner Flucht aus Litauen über die Zeit in einem Zwangsarbeiterlager der Nazis und einem displaced persons camp nach dem Krieg bis zu seiner Ankunft in New York mit seinem Bruder Adolfas erzählt. Es ist das Einzige der Reihe, das in deutscher Übersetzung vorliegt. Darauf folgten die englischsprachigen „New York Diaries“, deren erster Band die Jahre 1950 bis 1969 umfasste. Kürzlich erschien der zweite mit (nicht immer datierten) Einträgen bis 2011.

          Eine Postkarte von John Lennon und Yoko Ono
          Eine Postkarte von John Lennon und Yoko Ono : Bild: Spector Books
          Verena Lueken
          Freie Autorin im Feuilleton.

          Dieser zweite Band beginnt mit Kapitel 27 im Jahr 1969. Mekas lebte zu dieser Zeit im Chelsea Hotel neben Janis Joplin. Jedem Kapitel ist in fetten Buchstaben vorangestellt, worum es gehen wird: „. . . Future of moving image arts . . . A depressing show by Paik and Laurie Anderson . . . Frampton dies . . . AFA Board meets . . .“ und so weiter, sodass dieses sehr dicke Buch wie schon die Vorläufer durch sein Layout und die Organisation der immensen Stoffmasse übersichtlich und handhabbar daherkommt. Da auch noch eine große Menge Fotos in verschiedenen Größen und mit oft lustigen Bildunterschriften versehen (etwa: Quelle Buddha, unveröffentlichte Schriften) sowie faksimilierte Briefe, Postkarten, Gedichte und Notizzettel dazwischengeschoben werden, ist die Lektüre außerordentlich kurzweilig. Bewegend auch, aufregend und herzerwärmend für alle, die New York lieben und die Stadt zumindest in den ersten Jahrzehnten, die diese Tagebücher umfassen, nur aus der Literatur und von Fotos kennen.

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