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Digitales Kulturerbe : Unsichtbare Vasen für die Menschheit

Auf dem Weg ins digitale Archiv: Europa heftet sich ohne Hast an Googles Fersen

Auf dem Weg ins digitale Archiv: Europa heftet sich ohne Hast an Googles Fersen Bild: ddp

Bei der Digitalisierung des kulturellen Erbes läuft den Europäern die Zeit davon. Google ist ihnen in Geld, Erfahrung und Größe meilenweit voraus.

          5 Min.

          Dass die Archive, Bibliotheken und Museen, die das Wissen und die Künste der Menschheit aufbewahren, ihre Bestände digitalisieren müssen, ist keine Frage mehr. Die Frage ist nur noch, wie schnell das geschieht und wer den Prozess der Verwandlung von Objekten in Dateien steuert und kontrolliert. Ein Weckruf an die europäischen Wissenshüter, mit der Digitalisierung endlich Ernst zu machen, war vor sechs Jahren die Ankündigung des Google-Konzerns, bis 2015 den größten Teil der Sammlungen der Universitätsbibliotheken von Harvard, Stanford und Michigan und der Bodleian Library in Oxford scannen und in verschiedenen Zugangsstufen ins Internet stellen zu wollen. Inzwischen haben sich die Bayerische Staatsbibliothek, die Nationalbibliothek von Katalonien, die Österreichische Nationalbibliothek und andere ehrwürdige Häuser dem Projekt angeschlossen. Und Google hält Wort: Die Zahl der über „Google Books“ erreichbaren Bücher wächst rasch - und damit auch die Zahl der „gemeinfreien“, vom Urheberrecht nicht mehr erfassten Werke, die vollständig im Netz zu lesen sind.

          Andreas Kilb
          Feuilletonkorrespondent in Berlin.

          Für die traditionellen Bibliotheken, die ihre Nutzer immer noch Karteikarten durchforsten und Bestellzettel ausfüllen lassen, entsteht dadurch eine mächtige Konkurrenz. Aber auch die Digitalisierung ihrer Schätze birgt auf lange Sicht ein Existenzrisiko: Die kommunalen und nationalen Kulturpolitiker, die den Bibliotheksbetrieb aus ihren Kassen finanzieren, könnten versucht sein, jene Häuser, deren Kundschaft nur noch vom eigenen Bildschirm aus die Bestände nutzt, zu reinen Verteilerstellen für Digitalisate herunterzukürzen. Man müsse sich fragen, wie viele „partikulare Institutionen“ man in Zukunft noch brauche, erklärte der Informatikwissenschaftler Stefan Gradmann vergangene Woche bei einer Tagung zur Zukunft des kulturellen Erbes in Berlin nicht ohne Besorgnis.

          Löcher im Etat

          Frisst das Netz die Archive? Man könnte meinen, die deutschen Bewahrer des Kulturerbes hätten es eilig, sich über diese Frage Klarheit zu verschaffen. Aber diesseits des Atlantiks, das zeigte die von der Deutschen Kinemathek und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz organisierte Tagung, kommt der lange Marsch ins einundzwanzigste Jahrhundert doch erst sehr gemächlich voran. Seine Geschwindigkeit hängt nicht zuletzt am Geld. Knapp acht Millionen Euro bekommt die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB), die als zentrales Portal der deutschen Kultureinrichtungen dienen soll, von Bund und Ländern als Startkapital. Für den laufenden Betrieb ab 2012 sollen noch einmal gut zweieinhalb Millionen pro Jahr fließen.

          Als einziger deutscher Beitrag zum gesamteuropäischen Kulturportal Europeana, für das unter Leitung von Stefan Gradmann gerade ein Referenzierungssystem, das „Europeana Data Model“, entwickelt wurde, ist das ein Klacks. Und doch stürzt schon diese begrenzte logistische Anstrengung die beteiligten Institutionen in Gewissensnöte, wie Günter Schauerte, Vizepräsident der Preußenstiftung, bei der Vorstellung des DDB-Projekts erläuterte. Denn: „Wenn wir alle Bilder, die wir haben, frei ins Netz stellen, ist unser Unterhalt gefährdet.“ Sprich: Wenn die Stiftung für ihre Fotodateien kein Geld mehr verlangen kann, klafft ein Loch in ihrem Etat, aus dem unter anderem die archivalische Sicherung der Fotos bezahlt wird.

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