
Sherlock Holmes : Der Nerd aller Nerds
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Lauter Updates also, Adaptionen, Fortschreibungen, Umschreibungen, Hinzuerfindungen: Da gibt es einen Bedarf im Fall von Sherlock Holmes, der offenbar nicht zu stillen ist. Eine Sehnsucht nach Wiedervorlage, wie es sie sonst vielleicht nur noch im Fall von Graf Dracula gibt. Bram Stoker hatte seinen Vampir zwar schon als Untoten angelegt, als er seinen Roman 1897 schrieb. Er ist danach aber immer wieder zu neuem Leben erweckt worden, so oft er auch gepfählt wurde. Jede Generation hat sich seitdem ihren eigenen „Dracula“ geschrieben. Und genauso jede Generation ihren Sherlock. Für die Nachkriegszeit war es beispielsweise Peter Cushing, der auch den Vampirjäger van Helsing in den „Dracula“Filmen der fünfziger Jahre spielte. Das passte, denn in seinem Roman hatte Bram Stoker den Freunden, die Dracula zur Strecke bringen, ähnliche deduktive Methoden an die Hand gegeben, wie Sherlock sie anwendet. Bis heute tut er das ja, bis zur tricktechnisch digital aufgerüsteten Fernsehserie der BBC.
Vielleicht haben diese immer neuen Adaptionen ja genau damit zu tun: damit, dass die coole, neuartige Forensik, die Holmes und Watson schon Ende des 19. Jahrhunderts angewendet hatten und einem faszinierten Publikum vorführten, derartige Fortschritte gemacht hat, dass man sie einfach anpassen musste. Weil man, gerade heute, in der Ära des Nerds und der Gerichtsmediziner, einfach zu neugierig ist, wie sich Sherlock, der Nerd aller Nerds, unter den neuen Bedingungen so schlagen würde. Deswegen dieses „CSI: Baker Street“, ob in der BBC oder auf Sat1.
Jede Gegenwart braucht ihren Holmes
Kann also sein, dass da ein Pionier immer wieder von einer Gegenwart eingeholt werden muss, der er einmal weit voraus war. Gleichzeitig behauptet Sherlock Holmes die Autonomie des Menschen gegen das Labor: Nicht alles enthüllt seine Wahrheit nur unter dem Rasterelektronenmikroskop – das intuitive hochtourige Gehirn erkennt Zusammenhänge freier und klarer. Weil wir aber nicht nur in der Ära des Nerds leben, sondern auch in einer alternden Gesellschaft, ist der Spielfilm über den senilen Mr. Holmes, der seit Heiligabend im Kino läuft, auch eine sehr zeitgemäße Adaption, selbst wenn die Story nach dem 2. Weltkrieg spielt: Was, wenn so ein hochtouriges Gehirn plötzlich Halt und Fahrt verliert? Ein dementer Sherlock, ein Sherlock mit Alzheimer ist auch ein Sherlock, der die Ängste des 21. Jahrhunderts lösen muss.
Kinotrailer : „Mr. Holmes“
Vielleicht ist die Sache aber auch einfacher. Vielleicht lassen sich all diese Adaptionen, die ja schon lange vor der Ära des DNA-Tests begannen, literarisch erklären: Die Geschichte vom Meisterdetektiv Sherlock Holmes ist nämlich von Anfang an Fan-Fiction gewesen. Also schon, als Arthur Conan Doyle sie noch selbst schrieb. Er war es ja, der mit der Fan-Fiction überhaupt anfing.
Als Doyle nämlich, müde geworden vom Erfolg und dem unersättlichen Publikums, seinen Detektiv 1893 endlich gekillt hatte, zwangen die Leser ihn bald dazu, Holmes wieder zum Leben zu erwecken. Doyle hatte den Detektiv und seinen Widersacher Moriarty gemeinsam in die Schweizer Reichenbach-Fälle geworfen. Mit diesem Ende der Geschichte wollte sich aber keiner abfinden. Selbst die Mutter des Autors nicht. Was sollte Doyle also tun? Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als Holmes zurückzuholen.
Im Grunde hat Doyle seinen Nachfolgern damit selbst die Erlaubnis ausgestellt, weiterzuschreiben an der Geschichte von Sherlock und Watson. Er hatte es ja selbst getan. Hatte Sherlock wieder ins Reich der Lebenden geholt, hatte die Regeln der Fiktion erweitert, so dass sie ab jetzt alles umfassen konnten – selbst Gonzo als Sherlock und Fozzie Bär als Doktor Watson. Und man darf nicht vergessen: Es gibt Sherlock gar nicht in echt, also kann er natürlich auch ein Hühnerhabicht sein. (Oder was dieser Gonzo eigentlich ist. Was ist er denn eigentlich? Sherlock Holmes würde das wissen.)