„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ : Ein Mensch, gefangen in einer kapitalistischen Welt
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Dieser Blick auf die „Arbeiterklasse“ wirkt heute im Grunde kitschig. Doch das Spiel der Hauptdarstellerin Angela Winkler lässt den Film nach wie vor aktuell erscheinen. Nicolette Krebitz über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff.
Volker Schlöndorff sagt über diesen Film von 1975 in einem Interview (auf dieser DVD): „Ganz abgesehen vom ganzen Drumherum und der politischen Situation . . . Was bleibt, ist das Porträt dieser Frau . . . Machtstrukturen gibt es überall. In anderen Ländern hat das Publikum da einen anonymen Apparat gesehen, der das Individuum Katharina Blum erdrückt, aber sie konnten das übertragen, weil sie von vornherein mit der Frau, mit dem Porträt dieser einzelnen, gewerbstätigen, lohnabhängigen, einsamen Frau, die aber trotzdem so eine Gradheit hat, die sich an ihre Ehre klammert - das konnten sie verstehen. Warum ist die Ehre gerade für einen mittellosen Menschen, der kein großes Einkommen und kein großes Haus und kein dickes Auto hat, so wertvoll? Weil es das Einzige ist, was er hat. Das ist das Bild von ihm. Er kann mit seinem Bild keine Kompromisse machen. Das ist, was ihm wichtig sein muss, er kann sich nicht verschanzen hinter irgendeinem Reichtum und eine Fassade aufbauen.“
Das klingt so, wie man das Leben gerne hätte, und beschreibt auch, was der Film erzählt. Aber ist dieser Blick auf die „Arbeiterklasse“ nicht eigentlich kitschig? Wie ist das heute? Ist die Ehre ein Wert, den „einfache Leute“ noch verteidigen? Zeichnet sich der moderne Mensch der westlichen Welt nicht vor allem dadurch aus, seine Würde bereitwillig für dies und jenes herzugeben? Was zählt, ist doch, was Erfolg hat. Das war damals vielleicht noch anders.
Fesselnde Wechselwirkung
Was den Film heute dennoch aktuell erscheinen lässt, ist seine Hauptdarstellerin. Angela Winkler spielt diese Frau, in einer fesselnden Wechselwirkung von Subjekt und Objekt. Sie fasziniert, ohne gefallsüchtig zu sein. Sie spricht mal echt, mal Literatur, bewegt sich eher schüchtern und plötzlich viel zu doll, als wolle sie einen vor den Kopf stoßen, davor bewahren, sich zu sehr in ihr zu verlieren. Man soll schon selber spüren, wie es ist, diese Frau zu sein, die kein Wort, aber am Schluss die Beherrschung verliert.
Einmal redet sie doch, antwortet in einem Verhör auf die Frage, wie sie sich den hohen Kilometerstand ihres Autos erklärt: „Nach Feierabend fahr ich oft einfach los. Irgendwohin, nur um zu fahren. Meistens wenn's regnet und wenn ich allein bin. Manchmal bin ich ja schon um fünf zu Haus und hab dann nichts zu tun. Ich kenn so viele Frauen, die sich abends allein vor dem Fernseher betrinken. Davor hab ich Angst.“ Da steht Angela Winkler, losgelöst von Raum und Zeit, und ist nicht mehr nur eine Frau, sondern ein Mensch, gefangen in einer etwas früher oder später stattfindenden kapitalistischen Welt. Man muss sie nicht als keusch vergöttern oder als zu dumm bemitleiden. Die Liebe zu Ludwig führt sie raus aus dieser Hölle. Und, na klar, geht sie den ganzen Weg.
In ihrem Spiel entscheidet sich Angela Winkler für die Darstellung von Einsamkeit und der Kraft, die Liebe in einem freisetzen kann. Um das möglich zu machen, braucht man natürlich einen Regisseur, der einen lässt. In diesem Fall standen Angela Winkler gleich zwei zur Verfügung, die sie so sanft geführt und sich auch haben entführen lassen: Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff.