Neue Literaturdebüts : Es gibt ein gutes Leben im schlechten
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Cemile Sahin Bild: Paul Niedermayer
Sieben literarische Debüts stehen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Die beiden besten sind nicht darunter.
Als am Dienstag die zwanzig Romane bekannt gegeben wurden, die in diesem Jahr auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stehen, und sich unter diesen Romanen gleich sieben literarische Debüts befanden, war dies eine völlig überraschende Nachricht. Sind die Jungen dabei, die Alten zu besiegen? Sind die neuen in diesem Jahr wirklich interessanter und besser als jene Autorinnen und Autoren, die bereits auf ein Werk zurückblicken? Oder handelt es sich um eine bewusste Maßnahme der Jury zur Förderung junger Literatur?
Wer auf der Liste steht, muss sich auch an denen messen lassen, die es nicht auf diese geschafft haben: „Das flüssige Land“, der Debütroman der Österreicherin Raphaela Edelbauer über einen Ort, unter dem sich ein riesiger Hohlraum befindet, der die Bewohner auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint, über den aber niemand sprechen will, ist dabei. Steffen Kopetzky mit „Propaganda“, seiner Rekonstruktion der Schlacht im Hürtgenwald, die von einem amerikanischen Soldaten in der Abteilung für psychologische Kriegsführung erzählt, ist es aber nicht. Miku Sophie Kühmels Debüt „Kintsugi“, benannt nach dem japanischen Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu kitten, weil Schönheit nicht in der Perfektion zu finden ist, sondern im guten Umgang mit Brüchen und Versehrtheiten, steht auf der Liste. Sibylle Bergs „GRM“ über den Brexit, den Überwachungsstaat, die Gentrifizierung und das zerfallende Europa, für viele schon seit dem Frühjahr der Roman des Jahres, fehlt. Kann das wirklich sein?
Warum darf sie nicht einfach eine Teekanne sein?
Kann es nicht. Nicht jedenfalls, wenn man „Kintsugi“ zu lesen beginnt und vom ersten Satz an mit so vielen Adjektiven konfrontiert ist, dass man überhaupt nur noch Adjektive sieht: „Als sie das Haus erreichen, ist das Licht schon senfgelb und die Schatten sind lang“, lautet der erste harmlose Satz. Der „Tag“ ist „scheu“; es „dämmert früh“; der Baum ist „hohl“; das Haus steht „schwarz geschindelt da, schmucklos und vernarbt“. Die Ruhe „schmiegt sich kühl an ihre Ohren“. Die Dunkelheit ist „vertraut“; die Teekanne „faustgroß“ und „gusseisern“. Warum darf sie nicht einfach eine Teekanne sein? Die Betten werden mit „frischer weißer“ Baumwolle bezogen, „dick und fluffig wie zwei satte Wolken“; eine „glatte, kühle Weichheit“. Alles ist erwartbar: „Was er vom Himmel erahnen kann, ist dunstig-blau, nur eine schmale, längliche Wolke wird von der Sonne noch im Abgang über die Schulter rot angeleuchtet.“ Und jedes weitere Adjektiv ist nur ein Hilfsmittel, um das Erzählte literaturhaft erscheinen zu lassen.
Miku Sophie Kühmel, die 1992 in Gotha geboren wurde und in Berlin und New York studiert hat, erzählt von einer Viererkonstellation in einem Wochenendhaus aus diesen vier Perspektiven. Es ist eine interessante Versuchsanordnung, die Sprache hält einen aber nicht. Vor allem dann nicht, wenn man gerade den Roman „Pixeltänzer“ gelesen hat, der gar nicht auf der Liste steht, die dort stehenden Debüts aber überstrahlt. Denn alles an diesem Buch ist überraschend. Die Autorin, 1982 geboren, heißt Berit Glanz, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere Skandinavische Literaturen der Uni Greifswald, besitzt auf Twitter eine große Followerschaft. Sie fragt: Wie geschichtsvergessen ist unsere Gegenwart? Ist die Geschichtsvergessenheit unser Verhängnis?