„Recycling Beauty“ in Mailand : Von Jupiter zu Konstantin
- -Aktualisiert am
Die rechte Hand des Kaisers – Fragment der Kolossalstatue Konstantins des Großen aus dem vierten Jahrhundert nach Christus. Bild: Musei Capitolini
Die Fondazione Prada in Mailand zeigt in der großartigen Schau „Recycling Beauty“ die wechselvollen Biographien antiker Kunstwerke.
Wer im Rom des ausgehenden 15. Jahrhunderts über Macht und Wohlstand verfügte und beides mehren wollte, der veredelte seine familiäre Herkunft. Die spätmittelalterliche Hochstapelei folgte einem wiederkehrenden Muster. Zunächst beschaffte man sich eine Sammlung antiker Artefakte: Reliefs, Münzen, Statuen, die Zweiflern als Beweis für die jahrtausendealte verwandtschaftliche Verbindung ins alte Rom präsentiert werden konnten. Danach verkündete man, Nachfahre einer wichtigen Patrizierlinie zu sein. Auf diese Weise erklärte sich etwa der Humanist und Rechtswissenschaftler Andrea Santacroce zum Nachkommen eines Konsuls aus der Frühzeit der römischen Republik. Als Zeugnis seiner Glaubwürdigkeit bewahrte er zu Hause ein marmornes Relief aus dem ersten Jahrhundert vor Christus auf. Es zeigt einen Mann, eine Frau und einen Jungen – Vater, Mutter, Sohn. Santacroce hatte über ihren Köpfen im römischen Stil die Inschrift „Fidei Simulacrum: Honor, Veritas, Amor“ (Bild des Glaubens: Ehre, Wahrheit, Liebe) einmeißeln lassen. Die Inschrift deutete die drei Figuren allegorisch und machte das Relief zum politischen und ethischen Manifest der Familie Santacroce.
Heute weiß man, dass das Relief ursprünglich ein Familiengrab schmückte und es sich bei dem Paar mit Kind um ehemalige Sklaven handelte. Was hätten sie dazu gesagt, hätten sie gewusst, dass sich ein Römer mit ihrer Hilfe eine edle Herkunft erschlich? Nachdem der neue Stammbaum der Santacroces gefestigt war, brachte die Familie das Relief gut sichtbar an ihrer Hausfassade an und wendete sich neuen Strategieprojekten zu. Zweihundert Jahre später entfernten Restauratoren das Relief, Ende des 19. Jahrhunderts wurde es an die Vatikanischen Museen verkauft.
Seit Donnerstag ist es in der Mailänder Fondazione Prada ausgestellt. Um der dreiköpfigen Familie direkt ins Gesicht zu blicken, muss man sich setzen: auf einen Schreibtischstuhl an einem Tisch, der so nüchtern daherkommt wie der Arbeitsplatz in einem Großraumbüro. Es ist eine Einladung, die Figuren ausgiebig zu studieren, ihr angedeutetes Lächeln, die individuelle Form der Ohren, und sich dabei vielleicht in Santacroce und seine Mitstreiter hineinzuversetzen. Für sie war das Relief nicht nur ein Erbe der Vergangenheit. Es war ein Objekt der Möglichkeiten, geeignet zur Wiederverwertung mit dem Ziel, Einfluss auf Gegenwart und Zukunft zu nehmen.
Griechisches Original, römische Kopie
Die Eingriffe, die sie schließlich vornahmen, hoben die frühere Bedeutung des Kunstwerks auf und verliehen ihm eine den aktuellen Bedürfnissen angepasste neue. Und um genau diesen schöpferischen Moment, in dem einem antiken Objekt wieder neues, wenn auch anderes Leben eingehaucht wird, geht es der Fondazione Prada in ihrer großartigen Schau „Recycling Beauty“.
Zum dritten Mal widmet sie sich damit antiker Kunst und den Narrativen, durch die wir sie wahrnehmen, wertschätzen oder mit Achtlosigkeit strafen. Und abermals gelingt es ihr, die Kunstwerke in einen Dialog mit der Gegenwart zu bringen. Mit „Serial Classic“, einer Schau über das Verhältnis von griechischem Original und römischer Kopie, feierte sie 2015 die Eröffnung ihres neuen, von Rem Koolhaas gestalteten Kunstdomizils auf dem Gelände einer ehemaligen Spirituosenfabrik.
Parallel dazu widmete sich das alte Stammhaus in Venedig mit „Portable Classic“ der Verkleinerung lebensgroßer antiker Statuen auf handhabbare Souvenirgröße. Beide Ausstellungen wurden von Salvatore Settis kuratiert. Auch jetzt war der Archäologe und Kunsthistoriker wieder am Werk, diesmal zusammen mit Anna Anguissola und Denise La Monica, während Rem Koolhaas erneut die Schau gestaltete. Mit der thematischen Kontinuität bei gleichzeitigem Einsatz bewährter Akteure zeigt die Fondazione, deren Impulse für die zeitgenössische Kunst weit über die Grenzen Italiens hinaus spürbar sind, dass sie den Kerngedanken ihrer Schau selbst lebt. „Recycling Beauty“ meint schließlich auch die Wiederverwertung und kreative Weiterentwicklung althergebrachter Ideen.