„Bilder und Zeiten“ ist zurück : Erinnerung nach vorn
- -Aktualisiert am
Wir nehmen die Arbeit an „Bilder und Zeiten“ wieder auf – dieses Mal digital, aber wie gehabt in Schwarz-Weiß und in der Type Clarendon. Bild: F.A.Z.
Der technische Fortschritt macht es möglich, an das vermeintlich Verlorene anzuknüpfen: Die Beilage „Bilder und Zeiten“ ersteht an diesem Samstag in digitaler Form auf.
Zeitungen gehen mit der Zeit, begleiten sie, nehmen ihre Anregungen auf, berichten über sie und versuchen, sie in Gedanken zu fassen. Zeitungen unterliegen auch der Zeit, müssen sich an ihre technologischen und ökonomischen Umstände anpassen.
Mit der Zeit zu gehen ist aber nicht die einzige Bewegungsrichtung der Gedanken. Nicht alles, was verschwunden ist, hat es auch verdient, verschwunden zu sein. Und mitunter ist es gerade der technische Fortschritt, der es ermöglicht, an etwas anzuknüpfen, das für immer verloren zu sein schien. Man denke nur an die Massen von Material für die Film- oder Literaturgeschichte, die zuletzt durch die Digitalisierung erschlossen worden sind. Wer heute einen alten Film noch einmal oder erstmals sehen möchte, ist in einer unglaublich besseren Situation als jemand, der vor dreißig oder fünfzig Jahren diesen Wunsch hatte. Wer mit der Zeit geht, kann also auch immer mehr Vergangenheiten aufrufen.
Das gilt nicht nur für den Gang ins Archiv. Ursprünglich hieß eine Seite der Wochenendausgabe dieser Zeitung „Bilder und Zeiten“. Sie war sehr oft Berichten aus der damals noch viel ferneren Welt, aus Bali und Hawaii oder Hollywood, gewidmet. Es erschienen unter diesem Titel aber auch Essays zu graphologischen Unterschieden zwischen Danton und Robespierre, über die Lage der jungen Generation und über die Entstehung der modernen Elternrollen. Einmal schrieb Simone de Beauvoir über Brigitte Bardot. Gegenwart und Vergangenheit, Ferne und Nähe waren gleichermaßen im Blick.
Wie “Bilder und Zeiten“ entstand
Daneben gab es in den frühen Fünfzigerjahren am Wochenende die Seiten „Ereignisse und Gestalten“, „Literaturblatt“ und „Für die Frau“. Vom 12. Januar 1952 an rückte „Bilder und Zeiten“ dann nach vorn und stand im Titelkopf der ersten Seite dieses Wochenendteils. Nehmen wir eine Ausgabe dieser Zeit in die Hand, findet sich beispielsweise ein Gedenkblatt zum fünfhundertsten Geburtstag von Lionardo (sic!) da Vinci. Oder eine Erzählung von Heinrich Böll und etwas über die Osternacht, angestoßen durch Lektüre des „Faust“. Gottfried Benns „Stimme hinter dem Vorhang“ wurde besprochen und Immanuel Velikovskys „Welten im Zusammenbruch“. Die Seite für die Frau bot Stücke über geheizte Schuhspanner, über Männer, die kochen können, über klassische Schönheitsfehler und über die von Greta Garbo angeregte Mode.
Von dieser Zeit an erschien die Wochenendausgabe unter dem Gesamttitel „Bilder und Zeiten“ als eigenständige sechsseitige Tiefdruckbeilage. Die redaktionelle Verantwortung lag beim Feuilleton. Das ging so bis ins Jahr 2001, als der samstägliche Tiefdruck aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eingestellt wurde. Er war angeblich zu teuer geworden, die Abhängigkeit von einer einzelnen Druckerei, die das Druckverfahren noch anbot, hieß es, sei zu stark. Als später Zweifel an dieser Darstellung aufkamen, war es schon zu spät. Es wäre zumindest heute unwirtschaftlich, „Bilder und Zeiten“ im Tiefdruck zurückzuholen. Die Klagen aus der Leserschaft über den Verlust waren aber, um es vorsichtig zu formulieren, erheblich. Über Jahre hinweg sind wir auf ihn angesprochen worden. Als 2006 die erste Zeitungskrise ausgestanden war, wurde „Bilder und Zeiten“ deshalb noch einmal wiederbeatmet. Abermals am Samstag wurde der Feuilletonteil unter diesem Titel erweitert, auf gewöhnlichem Papier, mit neuen Rubriken und farbigen Bildern.
Doch der alte Ruhm war vergangen, und die alte Eleganz konnte im neuen Layout beim besten Willen auch nicht wiederhergestellt werden. Es hing eben viel an den durchgängig schwarz-weißen Bildern und Fotografien, an der eigensinnigen Schrift der schon 1845 entwickelten Type „Clarendon“, die dem alten Literaturblatt der F.A.Z. entnommen worden war, und vor allem an den langen Essays. So verschwand „Bilder und Zeiten“ in der nächsten Zeitungskrisenzeit im Jahr 2012 endgültig.
Was auf Papier verloren war, kehrt jetzt elektronisch zurück
Nein, nicht endgültig. Von diesem Wochenende an nehmen wir die Arbeit an „Bilder und Zeiten“ wieder auf. Nicht zuletzt, weil uns die digitale Welt dazu die Möglichkeit gibt. Vor allem aber, weil wir Lust darauf haben. Lust auf die längere Strecke, auf den Bericht von den Rändern der Welt, auf die Reflexion ohne Anlass im Tagesgeschehen, auf das Notieren des aufschlussreichen Beiläufigen.
Im E-Paper der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird von diesem Samstag an regelmäßig eine sechsseitige Beilage unter dem alten Titel und in den schönen Ansichten der Zeit vor 2001 erscheinen. Was auf Papier verloren wurde und nicht wiederzugewinnen ist, kommt elektronisch in die Gegenwart zurück. Und zwar nicht als Museum, nicht nostalgisch, sondern als Gegenwart. Wir erinnern uns nicht zurück, wir erinnern nach vorn.
Mit kleinen Veränderungen passt sich die Beilage dabei dem an, was inzwischen geschehen ist. Eröffnet wird „Bilder und Zeiten“ wie ehedem mit einem langen Essay, und es folgen mindestens zwei weitere. Das Themenspektrum wird alles umfassen, was man sich vorstellen kann, das Formenspektrum wird vom Denkbild über das Porträt und die Reportage bis zum Thesenstück und der Erinnerung reichen. Und nach Bali geht es auch gleich wieder.
Anstelle der Gedichtbesprechungen der „Frankfurter Anthologie“, die 2011 ins Samstags-Feuilleton wanderten und dort bleiben sollen, gibt es künftig eine Rubrik „Retrospektive“, die sich einer vergleichbaren Deutung von aufschlussreichen klassischen, zum Wiedersehen bestimmten Werken der Filmgeschichte widmet. Auch der Literaturteil von „Bilder und Zeiten“ erscheint leicht verändert. Unter dem Titelkopf „Bücher und Themen“ werden im Wechsel die Literatur- und die Sachbuchredaktion dieser Zeitung jenseits von Rezensionen über Bücher und Ideen, aktuelle Tendenzen der literarischen und intellektuellen Welt nachdenken. Den Abschluss der sechs Seiten macht, wie es auch schon vor dem Jahr 2001 so war, eine Bilderseite aus den Welten der Fotografie und der Kunst, der Reise und der Mode.
Genug der Ankündigung. Wir freuen uns auf das neu-alte „Bilder und Zeiten“ und auf seine Leser.