Dichter gegen die NSA : Die Experten vom Kanzleramt
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Die Schriftstellerin Juli Zeh protestiert gemeinsam mit zwanzig anderen Autoren vor dem Kanzleramt gegen die NSA-Affäre. Bild: Gyarmaty, Jens
Dreißig Schriftsteller wollen, dass Angela Merkel die Abhöraffäre aufklärt. Dafür haben sie 70000 Unterschriften gesammelt. Sie im Kanzleramt abzugeben, ist aber nicht leicht.
Gestern, an einem trüben Mittwochnachmittag standen zwei Dutzend Schriftsteller vor dem Kanzleramt in Berlin. Sie hatten eben so viele Pappkartons dabei, in denen, geschickt verteilt, insgesamt 67407 Unterschriften lagen, die sie jemandem von der Regierung übergeben wollten. Vier Polizisten beobachteten die Demonstration, um gegebenenfalls für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu sorgen. Aber genau um diese ging es den Schriftstellern ja.
Vor zwei Monaten veröffentlichten dreißig Autoren einen Brief an Angela Merkel, in dem sie von der Bundeskanzlerin forderten, sich energischer für die Aufklärung der NSA-Affäre einzusetzen. Der Brief endet mit der Frage: „Wie sieht Ihre Strategie aus?“ Bisher bestand sie im Abwarten und Aussitzen, doch sie scheint zu verfangen. Das Land ist an Anderem interessiert. Die Macht lässt sich nicht zwingen.
Womöglich beschrieb Mitunterzeichner Ingo Schulze unabsichtlich den Grund dafür, als er sagte: „Wenn man in der DDR den Verdacht hatte, bespitzelt zu werden, wusste man immer wofür. Es war irgendwie persönlicher.“ Und womöglich schilderte Initiatorin Juli Zeh dann die Folge davon, als sie sagte: „Es fehlt den Leuten an einem Bewusstsein dafür, dass das real ist. So als würde ein Geheimagent ständig durch in ihr Wohnzimmer schauen.“
Am Mittwoch waren immerhin Presse Radio und Fernsehen da, und nach dem gemeinsamen Verlesen des Briefes und dem Hochhalten der Pappkartons für die Fotografen wanderte die Gruppe zum Eingang des Kanzleramtes, um die Sache mit den Experten vielleicht doch persönlich zu besprechen. Doch der Polizist am Eingang wusste auch nicht, wer die Affäre bearbeitet. Und der zwar nicht für Agenten wohl aber für Schriftsteller zuständige Kulturstaatsminister Bernd Neumann hatte keine Zeit. Ein Pförtner bot an, die Kartons entgegenzunehmen, aber die Autoren wollten sie dann doch lieber ins Bundespresseamt bringen, wie es abgemacht war.
Dort stellte sich heraus, dass die Verwaltung bei der Übergabe der Unterschriften keine Medien dabei haben möchte. Eine „ironische Situation“, sagte Michael Kumpfmüller vor der Tür zu den Journalisten, „die Presse kommt nicht ins Bundespresseamt“. Nur, um schon kurz darauf die nächste ironische Situation zu erleben, als nämlich die stellvertretende Regierungssprecherin Sabine Heimbach in der Sicherheit ihres Amtes die Pappkartons entgegennahm, um sie „an die Experten im Bundeskanzleramt weiterzuleiten“, wie sie sagte, „wo sie dann bearbeitet werden“. Wer diese Experten sind und wie die Bearbeitung aussieht, das blieb an diesem Tag – kein Witz – geheim.