Wie sich der Westen den Osten erfindet
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Installation auf dem Palast der Republik in Berlin von Lars Ramberg im Jahr 2005. Bild: Visum
Wer den ostdeutschen Unmut verstehen will, muss sich klarmachen, wie einseitig die Diskursmacht verteilt ist. Und etwas daran ändern, dass Spitzenpositionen fast immer von Westdeutschen besetzt werden. Ein Gastbeitrag.
Zur kontinuierlich geführten West-Ost-Debatte zählt die Behauptung, es gebe eine spezifische „Ost-Identität“, die mitverantwortlich sei für die derzeit rasant wachsende gesellschaftliche Spaltung. So jedenfalls kann man den im öffentlichen Raum vorherrschenden Eindruck resümieren. Allerdings ist dieser öffentliche Raum als ökonomischer, medialer und diskursiver Raum nicht nur komplett in westdeutscher Hand, sondern auch vollständig von westdeutschen Perspektiven dominiert; genau aus diesem Grund hat man sich in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr geweigert, einer Erhöhung der Rundfunk- und Fernsehgebühren zuzustimmen. Da alle die Chimäre dieser „Ost-Identität“ kennen, soll sie hier nicht erneut verhandelt werden, vielmehr wird im Folgenden skizziert, was es bedeutet, von der Politik und großen überregionalen Medien, also von den öffentlichen deutschen Eliten, die natürlich nur westdeutsche Eliten sind, eine solche auferlegt zu bekommen. Nicht der „Osten“ ist zu erklären, sondern der „Westen“, der sich anmaßt, den Osten identitätspolitisch zu interpretieren und dabei faktisch zu isolieren.
Durchgängig spreche ich von Osten und Westen, von Ostdeutschen und Westdeutschen, und verzichte bewusst auf jede Art von Relativierung. Die Kompromisslosigkeit dieser Entgegensetzung spiegelt nur die Gnadenlosigkeit der Unterscheidung, wie sie seit mindestens 30 Jahren, eigentlich aber seit 1945 den deutsch-deutschen Diskurs bestimmt; Christoph Hein nennt dies in einem neueren Buch den „letzten deutsch-deutschen Krieg“. Um den Kontrast anschaulich zu machen, sei der Jurist und Publizist Arnulf Baring zitiert, der 1991 die Ostdeutschen so beschrieb: „Ob sich dort heute einer Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal. Sein Wissen ist auf weiten Strecken völlig unbrauchbar. [. . .] viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar. Sie haben einfach nichts gelernt, was sie in eine freie Marktgesellschaft einbringen könnten.“ Offenbar für Aussagen wie diese hat Baring den Europäischen Kulturpreis für Politik und das Große Bundesverdienstkreuz erhalten.
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