Der toxische Staat
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Wladimir Putin, 2006, bei einer Schießübung Bild: Reuters
Aus einer politischen Perspektive scheint das Motiv des Anschlags auf Sergej Skripal unverständlich zu bleiben. Was aber, wenn der Fall gar keiner politischen Logik folgt?
Jeder Tag bringt neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den ehemaligen russischen Geheimdienstler und britischen Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter. Mittlerweile haben die britischen Ermittler festgestellt, dass der Anschlag mit dem in der UdSSR entwickelten Nervengift Nowitschok verübt wurde und dass die Substanz vermutlich im Gepäck von Julia Skripal aus Moskau nach Großbritannien gekommen ist. Die Premierministerin Theresa May erklärte, die russische Regierung habe „höchstwahrscheinlich“ entweder den Anschlag angeordnet oder die Chemiewaffen nicht unter Kontrolle, was das russische Außenministerium auf die inzwischen übliche undiplomatische Weise im heftigsten Straßenjargon dementierte. Daraufhin sagte der Außenminister Boris Johnson, der Befehl sei mit der „allerhöchsten Wahrscheinlichkeit“ vom russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich erteilt worden, was aus dem Britischen ins Allgemeinmenschliche übersetzt so viel wie „mehr als todsicher“ heißt. Wir wissen schon viel über die Tat und deren politische Folgen. Was wir aber immer noch nicht verstehen, ist das Motiv.
Was nützt es der russischen Seite?
Das ist nicht das erste Mal, dass sich russisches Vorgehen mit gewohnter Logik nicht erklären lässt, weder mit Staatsräson noch mit der KGB-Vergangenheit oder Sowjetnostalgie der russischen Machthaber. Der Zeitpunkt des Attentats scheint angesichts der möglichen Konsequenzen denkbar ungünstig: Am Vorabend der „Präsidentenwahl“, einer aufwendig inszenierten Zeremonie der Verlängerung von Putins Amtszeit, die möglichst reibungslos und ohne Zwischenfälle verlaufen soll, und kurz vor der Fußballweltmeisterschaft, deren Boykott immer wieder ins politische Gespräch kommt. Wie Putin schon im Jahr 2006 anlässlich der Ermordung der investigativen Journalistin Anna Politkowskaja sagte: „Ihr Tod schadet uns mehr, als er uns nützt.“
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