Schimanskis Abgang (1991) : Kein Bock mehr
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Endlich frei: Götz George in „Tatort: Der Fall Schimanski” Bild: rbb/WDR/Hans Zinner
Die Schimanski-Saga als Entwicklungsroman: Der Mensch ist zur Freiheit geboren, muss aber erst genug gelitten haben, um tun zu dürfen, was er will. Dirk Schümer über den Tag, an dem Götz George den „Tatort“-Dienst quittierte.
Er starb nicht in Thanners Armen. Er wurde nicht zur Schutzpolizei strafversetzt. Er schulte nicht um zum Sozialarbeiter oder Motorradseelsorger. Er endetet auch nicht als Penner unter Duisburger Brücken, wie es die letzte „Tatort“-Folge stellenweise verhieß. Nein, Schimanski quittierte mit den Worten „Ich hab' einfach keinen Bock mehr, ich hab' die Schnauze voll“ seinen Dienst am deutschen Volk, um das er sich - wie lange kein Beamter mehr - verdient gemacht hatte.
Er wäre nicht Schimanski, hätte er sich seinen stilgerechten Abgang nicht mit einer Beschimpfung der Kollegen und des Establishments versüßt, wüßte er nicht eine schöne, sinnenfrohe Frau in Nizza auf sich warten, hätte er sich nicht von einer Bande beinharter Motorradfuzzis und ihren Bräuten feiern lassen. So erträumt sich gar manche Geplagter seine spektakuläre Kündigung, bevor er weiterhin versil seinen Dienst verrichtet. Schimmi hingegen konnte noch mehr: Er schwang sich zur gewohnt scheußlichen Musik von Dieter Bohlen auf die Flügel bunter Träume und stürzte sich von einem mutmaßlich Münchener Hochhaus - denn in München wurden die meisten Szenen der Folge gedreht -, das einen Düsseldorfer Firmensitz darstellen sollte, und segelte mit seinem Flugdrachen im Hubschraubertempo über den Duisburger Rheinhafen.
Scheiße! Scheiße! Scheiße!
Schimanski erhob sich über diese schlammigen Untiefen, aus denen er immer neue Leichen geborgen hatte, über Altlasten und Emissionen, über den ganzen Dreck dieser Welt. Frei wie ein Schmetterling flog er davon und schrie sein Losungswort heraus: „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Horst Schimanski, das ist gewiß, hat mit seiner Kündigung endlich Erleuchtung erlangt.
So enthüllte sich die Schimanski-Saga in ihrem Schlußkapitel doch noch als Entwicklungsroman. Dieser Roman handelte vom Unbehagen der verwalteten Welt an sich selbst, vom ständigen Kampf mit den korrupten und festgefahrenen Institutionen, vom Aufbegehren gegen Tabus und Triebreduzierung, von spontanen Empfindungen wie Gerechtigkeit, Geilheit, Kinderliebe, wo das Leben sonst nur geplant und vermittelt war. Am Ende dieser Saga stand die alte bürgerliche Einsicht, daß der Mensch eigentlich zur Freiheit geboren ist, daß er aber erst genug gestrebt und gelitten haben muß, um tun zu dürfen, was er will.
Italienische Camper in Duisburg
Diese falsche Freiheit, von der so viele träumen, stand dem Fernsehhelden wie immer in besonderem Maße zu Gebote. Es wäre hier der ritualisierte Ort, dem Film all die Unstimmigkeiten vorzuwerfen, die aus Duisburg mehr denn je eine Zauberstadt machten. Ein Lebensretter in Gestalt eines Saarbrücker „Tatort“-Kommissars tauchte aus dem Nichts auf. Italiener verbrachten ihren Campingurlaub im Duisburger Hafen. Eine Adlige im Rolls-Royce klapperte zufällig die Pennerszene ab. Wer da noch Authentizität suchte, hatte sich bald in diesem Kriminalmärchen verheddert. Doch wo rein gar nichts mehr auf Logik, Kausalität und Wahrscheinlichkeit beruht, da ist endlich auch die Kunst frei geworden.
Dieser letzte Schimanski-Krimi hatte jede Verbissenheit hinter sich gelassen, rief locker die alten Topoi noch einmal ab: Mit einer Frittenschale in der Hand tapste der Held ins Gourmetrestaurant. Seine Jacke erschien als allbekanntes Markenzeichen. Kriminaloberrat Königsberg grüßte als Rentner mild und väterlich. Die Bestechungssumme fand sich in einem Handke-Bändchen „Kurzer Brief zum langen Abschied“, das Kommissar Haverkamp, der Vorgänger, dem Illiteraten Schimmi einst geschenkt hatte. Und Thanner enttarnte sich endgültig als fieser Spießer. Die faule Allianz von anarchistischer Arbeiterschaft und untertänigem Beamtentum ging unwiderruflich zu Ende. In diesem Feuerwerk von Selbstreferenz und freier dramaturgischer Assoziation wurde Schimanski endgültig überreal in einem Sinne, wie ihn André Breton für den Surrealismus und seinen Glauben an die „Allgewalt des Traums, an das absichtsfreie Spiel des Gedankens“ definiert hat.
Daß für Schimanskis letztes Gefecht zuvor eine mollige Polizeipsychologin als Gegnerin aufgebaut wurde, zeugt noch einmal vom Sinn des Produktionsteams für Symbole: Die Zeit der harten Männlichkeit ist abgelaufen. Psychologie ersetzt das Fühlen, so wie die Sachbearbeitung das Handeln ersetzt. Schimanski weiß um die bittere Wahrheit des Urteils, das der kühle, schicke Kollege Jahnke über ihn fällte: „Dieser Mann paßt nicht mehr in unsere Zeit.“ Fast zeitgleich mit der Sowjetunion hat uns in Horst Schimanski der letzte proletarische Held verlassen.