Sprichwortgespenst : Schiller schafft
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Wann geht der Mohr? Nein, eben nicht, wenn er seine Schuldigkeit getan hat: Eine kurze Erläuterung, was wirklich bei Schiller steht.
Leser! Bürger! Abonnenten! Nicht beweinen will ich diese Zitatleiche - ich will sie verfluchen: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“ Denn sie ist der pure Blödsinn. Doch weniger eine Zitatleiche. Mehr eine Zitat-Untote. Der allerunsterblichsten Sorte. Das hartnäckigste Sprichwortgespenst überhaupt. Es spukt: unausrottbar. Sogar in dieser Zeitung. Sogar in Glossen. Und so hilft dieser Fluch ausgerechnet in Form einer Glosse naturgemäß auch nicht weiter. Aber er soll, wie alles Heilige, Gerechte und Würdige, wenigstens gewagt werden.
Und wie immer hilft ein Blick ins Drama. In ein besonders schönes, tolles, aberwitziges. In Friedrich Schillers „Verschwörung des Fiesco zu Genua“, dritter Akt, vierter Auftritt. Muley Hassan („ein konfiszierter Mohrenkopf, die Physiognomie eine originelle Mischung von Spitzbüberei und Laune“) hat soeben dem Fiesco, Grafen von Lavagna („junger, schlanker, blühend-schöner Mann, stolz mit Anstand“), etliche Intrigen enthüllt und Spitzel- und Spitzbubendienste geleistet und hofft jetzt auf Belohnung.
Doch Fiesco meint nur: „Kerl, du verdientest einen eigenen Galgen, wo noch kein Sohn Adams gezappelt hat. Geh ins Vorzimmer, bis ich läute.“ Darauf grummelt Muley Hassan: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.“
So steht’s im Drama. Nichts da von „Schuldigkeit“. Gurgeln abschneiden und Giftpülverchen abfangen und Verleumdungsbriefchen austragen und Dolche im Gewande führen - das hat nichts mit „Schuldigkeit“ zu tun. Sondern mit Arbeit! Schillers Mohr ist niemandem etwas schuldig (es sei denn der Hölle). Schillers Mohr schafft was. Und zwar mit Freude und Lust! Wobei die Moral keine Rolle spielt.
Denn Schillers Mohr trägt zwar einen orientalischen Namen, ist aber, wie alle seine Mitfiguren auch, von durch und durch schwäbischem Geblüt. Schillers Figuren (nicht nur sein Mohr) sind keine griesgrämigen, bittertöpfigen Schuldigkeittuer, die irgendjemandem zu Gefallen etwas anstellen. Sie tun, was sie tun, auf eigene, tolle, gefährliche, manchmal sogar weltstürzende Rechnung. Ihre Arbeit belohnt sich selbst - und sei’s mit dem Tod.
Wer also aus des Mohren harter, freier Arbeit in bequemer biedermännischer Laune eine kleinbürgerliche, womöglich rundum sozialversicherte „Schuldigkeit“ macht, der verdummt und verharmlost nicht nur ein Zitat. Der kann gehen. Und zwar dorthin, wo der Sprichwortpfeffer wächst.