Serie „Wildwechsel“ : Der Luchs, das Sorgenkind der Naturschutzfamilie
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Noch nicht so heimlich: Ein etwa drei Wochen alter Luchs im Wildpark Schorfheide in Brandenburg Bild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB
Nicht nur das dichte Straßennetz und der Verkehr machen es Luchsen schwer, eine stabile Population aufzubauen. Im Pfälzerwald haben Monitoring und Aufklärungsarbeit den Luchs ankommen lassen.
„Heimlich“ lautet die korrekte wildtierbiologische Beschreibung für den Luchs, nicht etwa „scheu“. Wirklich verhalten sich die naturgemäß in dichten Wäldern lebenden Großkarnivoren wie eine Illustration der Redewendung „heimlich, still und leise“. So heimlich sind sie, dass sie nicht einmal in der Literatur Spuren hinterlassen haben. Die neueren Schriftsteller entschuldigt dabei, dass der Luchs seit zweihundert Jahren als nahezu ausgerottet gelten muss. Die Forschung spricht davon, der „kulturelle Rucksack“ des Luchses sei leicht.
Wer sein Auftauchen in Märchen, Sagen, Fabeln und Gedichten zu vermeiden wusste, hat auch nicht den schlechten Leumund anderer Räuber. Dem Wald alle sieben Tage ein Stück Schalenwild abzuluchsen, ist verglichen mit dem federfliegenden blutigen Spektakel, das Fuchs oder Waschbär im Hühnerstall veranstalten mögen, eine blitzsaubere, schnelle Sache, ausgeführt in kalter Ruhe. Jemand habe „Ohren wie ein Luchs“ darf hingegen als veraltetes Sprichwort gelten, kaum mehr verwendet. Vielleicht, weil es auch nicht ganz stimmt, der Wolf hört besser.
„Augen wie ein Luchs“ ist treffender, der Nachtjäger sieht im Dunkeln phantastisch gut. Warum aber verhält er sich so diskret, verstohlen und geräuschlos? Anders als der Wolf, mit dem sich der Luchs in Deutschland die Bezeichnung Großkarnivor allein teilt – denn der Dritte, der Bär, ist (noch) nicht zurück –, verfolgt der Luchs seine Beute nicht ausdauernd. Er ist ein Ansitzjäger. Im Jagdglücksfall packt er das Tier, dem er auflauerte, nach wenigen weiten Sprüngen seiner langen Beine, setzt seine Fänge für einen präzisen, tödlichen Biss in die Kehle ein und begibt sich dann zu Tisch, beginnend mit den Keulen des erlegten Tiers.
Fotofallen setzen der Heimlichkeit Grenzen
Ist er für den Tag satt, bedeckt er den angefressenen Leichnam mit Laub. Eine ganze Woche wird er zurückkehren und alles Muskelfleisch verzehren. Das Fell zieht er dazu ab, die Eingeweide überlässt er Aasfressern. Dieses Fressverhalten trägt dazu bei, dass auch der „soziale Rucksack“ des Luchses leicht ist. Der Wolf mag mitunter in eine Art Blutrausch geraten und dann auch mehr Schafe töten, als er fressen kann, was geschieht, weil er ein Rudeltier ist und das Verhalten dafür sorgt, dass seine ganze Familie satt wird. Der Luchs hingegen ist ein Einzelgänger.
Ein Kilo Fleisch pro Tag braucht der schäferhundgroße Luchs, am liebsten Reh, im Jahr um die fünfzig Stück. Er jagt aber auch Füchse, Gämsen, Marder und Mäuse. Selten nur vergreift er sich an Schafen oder Ziegen, Hasen machen nur zwei Prozent seiner Nahrung aus. Sein sonnengelbes mit braunen Sprenkeln überzogenes Fell verschwimmt mit dem Waldhintergrund, des perfekt getarnten Räubers zärtlichster Name ist Pinselohr, wegen der langen, witzigen Haarspitzen dort. Im Frühsommer kommen die neuen Zahlen des Luchsmonitoring heraus. Die modernen Technologien wildbiologischer Beobachtung, vor allem Fotofallen, setzen der Heimlichkeit entschieden Grenzen. Die Zahlen 2018/19 gehen von etwas mehr als achtzig Luchsen in Deutschland aus und etwa fünfzig Jungtieren.