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Der Fall Schavan : Frau Jedermanns Plagiat

Glaubt der Wissenschaft noch etwas schuldig zu sein: Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Bild: dapd

Braucht es Fachgutachten, um darüber zu entscheiden, ob die Ministerin ihre Doktorarbeit zum Teil abgeschrieben hat? Durchaus nicht! Aber mittlerweile hat sich der Fall Schavan weit über seine Bedeutung hinaus entwickelt.

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          Seit Mai vergangenen Jahres liegt der Vorwurf auf dem Tisch, die Bundesministerin für Bildung und Forschung habe in ihrer Düsseldorfer Dissertation aus Schriften zitiert, die sie nicht als Quelle angegeben hat, und habe aus angegebenen Quellen auch geschöpft, nachdem die Abführungszeichen längst gesetzt waren. Die Universität hält den Vorwurf des Plagiats für stichhaltig und hat jetzt das Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels eröffnet.

          Jürgen Kaube
          Herausgeber.

          Seit acht Monaten wird nun also diskutiert, ob Schavans Praxis, Originallektüre - von Heidegger, Freud oder Luhmann - auszuweisen, obwohl sie aus Sekundärquellen abschrieb, eine „leitende Täuschungsabsicht“ zugeordnet werden kann. Oder ob es sich um die damalige „Zitierkultur“ des Faches, Erziehungswissenschaft, also um institutionalisierte Laxheit, handelte? Oder ob ein „bedingter Vorsatz“ angenommen werden soll.

          Eine merkwürdige Rechtsfigur

          Letzteres ist eine Rechtsfigur, die Vorsatz annimmt, wenn die Tat (hier: das Plagiat) zwar nicht beabsichtigt war, aber in Kauf genommen und als Effekt gebilligt wurde. Vorsatz heißt Wille, wollen heißt den Erfolg billigen. Doch wie macht man das, ein Plagiat nicht beabsichtigen, aber billigend in Kauf nehmen? Das Beispiel des Bonner Wissenschaftsrechtlers Klaus Gärditz: Ein Doktorand schreibt erst einmal seinen Text und setzt die Fußnoten erst zum Schluss, was in Kauf nimmt, nicht mehr alle richtig zu setzen. Aber soll man sich so erklären, dass Schavan vergaß, gar nicht Martin Heidegger, sondern Walter Biemel über Heidegger gelesen zu haben? Und dass sie sogar Fehler ihrer Sekundärquellen übernommen hat, weil sie die Primärquellen nicht konsultiert hatte?

          Die meisten Verteidiger Schavans plädieren auf „Zitierkultur“, obwohl das anhand Tausender Dissertationen, die korrekt vorgegangen sind, eigentlich recht leicht zu widerlegen ist. Außerdem rechtfertigt Gewohnheit keine Mogeleien, sie erklärt sie allenfalls - so wie die „Kultur der Schüler“ Abschreiben erklären mag.

          Der Begriff „Zitierkultur“ findet sich in der Einlassung des Heidelberger Juristen und ehemaligen Max-Planck-Direktors Rüdiger Wolfrum, Plagiate könnten nur aus fachlicher Nähe, also Erziehungswissenschaftler nur durch Erziehungswissenschaftler beurteilt werden. Der von der Universität Düsseldorf beauftragte Gutachter ist Judaist. Auch die „Allianz der Wissenschaftsorganisationen“ stößt sich daran, wenn sie fachwissenschaftliche Expertise anmahnt und damit - da es das Fach Zitierkulturgeschichte ja nicht gibt - Forscher der betroffenen Disziplin meint.

          Wofür es Experten braucht

          Hier liegen sowohl Wolfrum wie die Allianz falsch und könnten das auch wissen. Für die Entscheidung, ob etwas ein Plagiat ist, bedarf es keiner „angemessenen Berücksichtigung des Entstehungskontextes“ der Dissertation. Denn es ist derselbe, der auch heute besteht. Schließlich wurde Schavan nicht im sechzehnten Jahrhundert promoviert. Jeder Geisteswissenschaftler mit Sinn für Quellenarbeit kann beurteilen, ob hier Mindeststandards eingehalten worden sind. Und weshalb sollte ein Bildungsforscher geeigneter sein, eine Literaturschau über „Person und Gewissen“ auf Zitatschwindel zu überprüfen, als ein Historiker oder Jurist?

          Wolfrums Argument, da nur Fachkollegen promovieren könnten, könnten auch nur Fachkollegen den Titel aberkennen, ist fadenscheinig: Promotionen müssen außer dem Merkmal, keine Plagiate zu sein, auch noch weitere Eigenschaften haben. Diese zu erkennen bedarf es der Fachexpertise, nicht aber für den Nachweis des Plagiats.

          Im Nutzfreundschaftsnetzwerk

          Der Ruf nach externen Fachgutachtern spielt nur auf Zeit. Merkwürdig genug. Denn gerade weil nun schon seit einem Dreivierteljahr debattiert wird, folgt eine interessierte Stellungnahme der nächsten und verunklart den Fall. Aus dem Nutzfreundschaftsnetzwerk Schavans - von Ernst-Wilhelm Winnacker bis Wolfgang Frühwald - meldet sich ganz spontan eine Stimme nach der anderen mit objektiven Urteilen, woraufhin auch die Gegenseite polemisch aufrüstet. So hat der Fall ein Gewicht angenommen, das er von der Sache her gar nicht besitzt.

          Dass sich die „Allianz“ mit Mahnungen zum Verfahren meldet, die sie bislang zu keinem Plagiatsfall ohne Prominenz gefunden hat, läuft darauf hinaus, dass die Sorge besonders ausgeprägt ist, wenn es um die eigene Geldgeberin geht. Offenbar ist man um diesen Eindruck unbekümmert. Schavans eigene Reaktion verstärkte das noch durch Sätze wie den, sie sei es der Wissenschaft schuldig zu kämpfen. Sie dokumentieren, dass Bescheidenheit nicht zu den Charakterzügen gehört, die sich durch politische Karrieren am stärksten entwickeln.

          So hat sich der Fall weit über seine Bedeutung hinaus entwickelt, und am Ende werden alle Schaden davongetragen haben, menschlichen und institutionellen. Die Sicht Bernhard Kempens, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, „Frau Schavan ist hier in der Rolle eines Jedermann, der in einem ganz bestimmten wissenschaftlichen Verwaltungsverfahren sich befindet“, ist darum normativ korrekt und als Appell am Platz. Sie liefe auf die Möglichkeit hinaus, dass der Doktortitel aberkannt wird, aber die Politikerin im Amt bleibt. Empirisch betrachtet, gehört das aber leider in das Reich der frommen Wünsche.

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