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Arendt-Sternberger-Briefe : Streit stärkt die Freundschaft

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Dolf Sternberger, 1956
Dolf Sternberger, 1956 : Bild: Ullstein

„Liebe und verehrte Hannah Arendt! Ich weiß nicht recht wie ich diesen Brief beginnen soll“, so eröffnet Sternberger den ersten Brief am 31. Mai 1946 aus Heidelberg nach New York – über den Abgrund der Geschichte hinweg. Arendt ist da mit dem Aufsatz „Organisierte Schuld“ bereits Autorin von Sternbergers Zeitschrift „Die Wandlung“ geworden, der Mitherausgeber Jaspers hatte vermittelt. Sogleich werden die alten Freundschaftsbande erneuert. Arendt schreibt Artikel, schickt Care-Pakete, Sternberger redigiert und ist ein aufmerksamer Chronist des Wiederaufbaus der Bundesrepublik. In der Schriftenreihe der „Wandlung“ erscheint „Sechs Essays“, Arendts erstes deutsches Buch. Mit den „Origins of Totalitarism“ von 1951, die vier Jahre später als „Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft“ in Frankfurt herauskommen, ist sie schlagartig in aller Munde. Sternberger ist nicht minder produktiv und erfolgreich. Mit der Stabilisierung der Lebensverhältnisse wird der Briefwechsel offener, zumal man sich nunmehr regelmäßig sieht. „Ilse und Dolf“ gehören bald zum festen Programm Arendts bei ihren Deutschlandbesuchen, man sieht sich privat und in Sternbergers Seminar. Er kann in den Briefen das Glück kaum fassen, wieder im Austausch mit Arendt zu stehen, als sei mit ihr ein Stück Vergangenheit wiedergewonnen worden.

Diese Stimmung ist auch sachlich begründet: Beide sehen im antiken Athen und der „Politik“ des Aristoteles die Grundlagen fürs politische Denken gelegt, beide interessieren sich für das Untergründige im Aktuellen. Und sie lernen voneinander: Sie begreift mit ihm Fragen der Repräsentation, die Mechanismen einer Demokratie, während Sternberger fasziniert ist von Arendts Fähigkeit, aus der Kritik an der politischen Philosophie die Gegenwart zu erschließen. Seine Besprechung von Arendts Hauptwerk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ 1960 in dieser Zeitung ist ein Markstein in deren Rezeptionsgeschichte.

„Du siehst, ich schreibe rücksichtslos offen“

Doch ein solcher Austausch ist nicht ohne Streit zu haben. Und es sind diese Auseinandersetzungen, die den Briefwechsel so bedeutend machen. Denn mit Arendt und Sternberger stehen sich zwei exemplarische Positionen gegenüber. Sie sieht in den Gewaltexzessen des 20. Jahrhunderts einen „Traditionsbruch“, auf den man mit einer vollständigen Revision des bisherigen Denkens reagieren müsse. Er sieht noch die Fäden zu den Ursprüngen des Politischen geknüpft, will produktiv an deren Stärkung arbeiten. Das klingt abstrakt, im Briefwechsel hingegen wird leidenschaftlich um den richtigen Weg gekämpft.

1953 tritt eine Figur ins Bild, die Arendt und Sternberger schon immer scharf trennte: Martin Heidegger. Sternberger hatte 1934 eine kritische Dissertation zu Heidegger veröffentlicht, deren Manuskript er mit Arendt diskutiert hatte. Jetzt bricht der offene Streit aus, denn sie besteht darauf – „Du siehst, ich schreibe rücksichtslos offen“ –, dass er Heideggers Versuch, die philosophische Tradition radikal zu reformieren, wenigstens anerkenne. Sternberger bleibt hart: Heidegger bleibt für ihn aufs nackte Sein fixiert, kann nicht einmal den bloßen Begriff „Mensch“ denken.

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