Demographiepolitik ohne Konzept : Jedes Alter zahlt
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Der Strategie fehlt der Ordnungsrahmen
Die Lebensbedingungen im schrumpfenden Deutschland im Hinblick auf Bevölkerungsdichte, Erreichbarkeit und Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen werden also mit Sicherheit ungleicher. Viele Regionen werden kontinuierlich Bevölkerung verlieren, nicht alle werden zu halten sein. Der Prozess des Schrumpfens muss jedoch begleitet werden, denn man kann die Bürger und lokalen Verwaltungen nicht im Regen stehenlassen. Der Strategie fehlt jedoch der Ordnungsrahmen für das Kleinerwerden. Denn dafür müsste die Ungleichwertigkeit (wem das Wort missfällt, kann ja von Vielfalt sprechen) Teil der politischen Planung werden, genau wie die Gleichwertigkeit, also die Anpassung an ein höheres Lebensniveau, ein sinnvolles Ziel zu Zeiten von Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswunder war.
Das Dogma der Gleichwertigkeit gefährdet die Chancen jener Regionen, die sich möglicherweise stabilisieren können. Die Mittel sind begrenzt, und man sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Die demographisch angeschlagenen Gebiete brauchen Entwicklungsmöglichkeiten unter anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen, denn bestehende Gesetze und Normen wurden unter Wachstumsannahmen erstellt. In Schrumpfgebieten treiben sie nur die Kosten hoch. Und die Gebiete benötigen nicht-zweckgebundene Regionalbudgets, mit denen sie ihre Infrastruktur, ihre Schulen, Alteneinrichtungen oder den Nahverkehr selbst planen und dabei auf neue, an das Schrumpfen angepasste Ideen kommen können. Kurz: Sie brauchen einen zulassenden Staat, der Bürgern und lokalen Verwaltungen die Möglichkeit gibt, ihre eigene Zukunft zu gestalten. Mehr denn je hängt es von den Engagierten in den Gemeinden ab, ob bestimmte Regionen eine Zukunft haben oder eben nicht.
Massiv sinkende Bevölkerungszahlen und die vielbeschworene Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die Alterung der Erwerbstätigen, eine Zuwanderung, die auf das Unvermeidliche begrenzt wird, und gleichzeitiger Schuldenabbau - das alles zusammengerechnet ergibt eine Gleichung ohne Lösung. Das Problem ist, dass die Bundesregierung über die Realität im Lande und die Sackgassenpolitik der Vergangenheit offenbar nicht reden will, weil sie fürchtet, dass Ehrlichkeit von den Wählern bestraft wird. Nichtstun aber verschlimmert die Lage und macht spätere Lösungen teurer oder unmöglich, wie der phlegmatische Umgang mit dem demographischen Wandel über die letzten vierzig Jahre belegt.
Ein neuer Generationenvertrag
Eine Demographiestrategie muss die Bürger auf die Realität einschwören. Diese sind vermutlich weniger ignorant, als die Politik es vorauseilend unterstellt. Sie könnten durchaus begreifen, dass eine richtig gesteuerte Zuwanderung im Interesse des ganzen Landes ist und die Voraussetzung für eine stabile Wirtschaft und Wohlstand. Dass nicht alle Regionen Deutschlands unter gleichen Standards leben können und müssen und dass regionale Unterschiede ihren eigenen Charme haben, wie in vielen anderen Ländern auch. Und dass wir einen neuen Generationenvertrag brauchen, in dem weniger die Finanzierung der alternden Gesellschaft, sondern eher die Investitionen in die junge Generation im Vordergrund stehen. Bei allem, was die Älteren zu leisten in der Lage sind: Es werden in erster Line die Jungen sein, die den Karren, auf dem wir alle sitzen, in Zukunft aus dem Dreck ziehen müssen.
Reiner Klingholz ist Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.