
Dinge, die verschwinden : Wahrheiten aus der Umkleidekabine
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Die Schaufensterpuppe wird mit Triumphzug des Onlineshopping ebenfalls verschwinden Bild: Frank Röth
Das Warenhaus ist dem Untergang geweiht. Den einen galt es als Inbegriff modernen Großstadtlebens, den andern als Hort ungezügelten Konsums. Was wir verlieren, geht über die Institution weit hinaus.
Wer heutzutage überhaupt noch ins Kaufhaus geht, begibt sich unweigerlich auf Zeitreise. Die Mischung pastellener Düfte aus Parfüm und Nagellack, die den Besucher gleich hinter dem Heißluftgebläse umfängt, führt in eine Jahrzehnte zurückliegende Wirtschaftswunderwelt. Die Hinweistafeln „Elektrogeräte“, „Kurzwaren“ oder „Damenwäsche“ sind die Sirenen auf dem Weg in die Vergangenheit.
Die Kinder von einst, die heute groß und längst bei Amazon zugange sind, machten im Kaufhaus manch prägende Erfahrung. Jungs träumten vor Schaufensterpuppen, Mädchen probierten die Parfümtester im großen Stil. Auch der Familienrat fällte Entscheidungen im Kaufhaus; Levi’s oder Cordhose? Adidas oder Puma? Nagellack ja oder nein?
Die Vorfreude auf die Weltausstellung aus Teflonpfannen, Skiausrüstung und Stretchjeans wurde befeuert durch den Katalog, diese für Enzensberger „letzte historische Variante der Enzyklopädie“. Dass jetzt abermals 52 Galeria-Kaufhof-Filialen geschlossen werden, war trotz allem absehbar. Dem langsamen Sterben der Innenstadt-Dinosaurier kann man seit Jahren zuschauen.
Dass diese Entwicklung den Einzelhandel nicht zurückholen wird, scheint ebenso ausgemacht, denn beider Sargnagel ist das Internetshopping. Was damit auch verloren geht, ist eine Erlebenswelt, die der digitale Kaufrausch kaum bereithält: Mütter und Töchter, die zusammen auf Rolltreppen immer neue Stockwerke ansteuern, um sich dem Konsum hinzugeben, der immer auch ein bisschen Sünde ist.
Hier bestimmt nicht die Klasse, sondern der Spiegel die Hierarchien
Und all die unverhofften Begegnungen mit Fremden im Umkleidebereich. In dieser intimen Zone inmitten eines halböffentlichen Raums wurden nicht nur viele Käufe inspiriert und Fehlkäufe verhindert, sondern manche Lektion fürs Leben gelernt. Und wer dort nur einmal das stundenlange Zeremoniell eines Ballkleidkaufs erlebt hat, wird es nicht mehr vergessen, zumal vor der Umkleide alle gleich sind. Hier bestimmt nicht die Klasse, sondern allein der Spiegel die Hierarchie.
Auch die Literatur verliert deshalb ein Stück Anschauungsmaterial, denn Romane über den aromafreien Digitalkauf lassen sich nur schwer vorstellen. Zolas Kaufhausepos „Au Bonheur des Dames“ von 1883 ist dagegen sinnliche Großstadterfahrung und akribische Recherche zu den Marktmechanismen des Konsums zugleich.
Auch Zola sah die Warenhäuser kritisch, als Endgegner der Einzelhändler und Verführungsmaschine der Damenwelt, beschwor aber zugleich die Aura der „Kathedralen des Handels“. Fortan werden wir uns in einer entzauberten Welt zurechtfinden müssen, ohne Glanz, Lichtermeer und Rolltreppe.